Peking zieht die Wachstumsbremse

Mit seiner ersten Leitzinserhöhung seit neun Jahren erntet China international viel Lob. Analysten werten dies als Schritt zu mehr Marktorientierung im Finanzsystem. Doch die erhoffte Flexibilisierung des Wechselkurses ist das nicht

PEKING taz ■ Selten hat eine Entscheidung der kommunistischen Parteiführung Chinas so viel Zustimmung in aller Welt ausgelöst, wie die gestrige Erhöhung des Leitzinses durch die Zentralbank um 0,27 Punkte auf 5,58 Prozent. Vom US-Finanzministerium bis zu den hohen Etagen des Internationalen Währungsfonds (IWF), von den Finanzanalysten in Hongkong bis zu ihren Kollegen in London und New York waren alle begeistert. Als habe sich die Pekinger Regierung damit endlich dem makroökonomischen Diktat des Westens gefügt. Oder, um es mit den Worten von US-Vizefinanzminister John B. Taylor zu sagen: „Diese Zinsentscheidung ist sehr viel versprechend, denn sie geht in Richtung eines mehr marktorientierten Finanzsystems und einer langfristig flexiblen Währungspolitik.“

Doch Taylors Worte entsprechen mehr westlichen Wünschen als der Realität. Denn Chinas Zinserhöhung, die erste in neun Jahren, war bei einem bisherigen Leitzins von 5,31 Prozent und zuletzt 5,2 Prozent Inflation überfällig. Auch nach der Erhöhung können Chinas Banken Kredite bei der Zentralbank fast umsonst aufnehmen. Die viel geschmähte Überhitzung der Wirtschaft, deren Wachstum sich in den ersten neun Monaten 2004 auf 9,5 Prozent belief und damit im Vorjahresvergleich weiter zunahm, wird durch die Zinserhöhung also kaum gestoppt werden. „Der Einfluss der Zentralbankentscheidung auf die reale Wirtschaft tendiert gegen null“, glaubt Jonathan Anderson, Chefökonom der Investment-Bank UBS in Hongkong.

Warum aber wurde Pekings Entscheidung dennoch in aller Welt beachtet? Noch am Donnerstag fielen die Ölpreise, weil weniger Wachstum in China weniger Ölnachfrage heißt. Weltweit fielen Eisenerz- und Stahlaktien, weil weniger Wachstum in China auch in diesen Sektoren weniger Nachfrage bedeutet.

Ähnliche Reaktionen auf einen Pekinger Zinsentscheid wären vor wenigen Jahren unvorstellbar gewesen. Inzwischen aber hat sich China, nach herkömmlicher Berechnung die siebtgrößte Volkswirtschaft, in wichtigen Bereichen zur weltweiten Nummer zwei gemausert. Zum Beispiel beim Zusatzbedarf an Öl und Erz. Insofern wurde der Zinsentscheid als Signal Pekings gewertet. Nach dem Motto: Bis hierher mit dem Wachstum und nicht weiter! Damit folgte Peking auch westlichen Analysten, welche die bisherigen Maßnahmen gegen die Konjunkturüberhitzung – seit April erhöhte man die Investitionsauflagen in Boomindustrien wie Bau, Stahl und Auto – für unzureichend hielten. Auf quasi-planwirtschaftliche Maßnahmen der Investitionsbegrenzung lässt Peking nun den marktwirtschaftlich begründeten Eingriff einer Zinserhöhung folgen.

Doch folgt allein daraus schon eine größere Marktorientierung des Finanzsystems? Vielleicht nach innen, wo die Behörden an einer Reform des überschuldeten Bankensystems arbeiten. Aber sicher noch nicht nach außen in Form flexibler Wechselkurse, wie es sich besonders die USA wünschen. GEORG BLUME