Stimmung ist Verhandlungssache

Polizeieinsätze und Registrierung in Otto Schilys „Gewalttäter Sport“- Kartei: Das Spiel mit dem Feuer kann selbst für Fans der Oberligen Schleswig-Holstein/Hamburg und Niedersachsen/Bremen Behördenärger mit sich bringen – auch Unbeteiligten

aus HamburgRENÉ MARTENS

So mancher Fan des Amateurfußballs sucht in den unteren Ligen den wahren Fußball und die wahre Fankultur – abseits der wie auch immer gedopten Stadionsprecher, die mit ihren ergebenen Schafen das „Danke-Bitte“-Spielchen spielen, abseits all der Sicherheitskräfte, die in einer Doppelhalterstange ein Totschlaginstrument sehen. Wer so denkt, neigt zu romantischen Verklärungen, aber legitim sind solche Wünsche allemal.

Verboten ist es beim so genannten großen Fußball beispielsweise, Feuerwerkskörper abzubrennen. In der Oberliga dagegen, so dachten viele Fans bisher, müsste man sich doch frei entfalten können, denn das ohnehin vorgeschobene Sicherheitsargument wirkt hier noch lächerlicher – schließlich bewegt sich die Zuschauerzahl in der Regel im unteren dreistelligen Bereich. Dennoch haben Bengalo-Aktionen bei Spielen in den Oberligen Hamburg/Schleswig-Holstein und Niedersachsen/Bremen im November bereits drei Polizeieinsätze heraufbeschworen: bei Holstein Kiel II gegen Altona 93 sowie – am vorvergangenen Wochenende – bei der Partie der Kieler beim SC Victoria und bei Arminia Hannover gegen Kickers Emden.

In Kiel und Hannover nahm die Polizei sogar die Personalien zahlreicher Fans aus Altona und Emden auf. „Wer muss das wieder alles bezahlen? Ich! Mit meinen Steuern!“, keifte karikierend ein AFC-Anhänger, aber der Vorgang hat auch eine ernste Seite: Die Kontrollierten könnten in die so genannte Datei „Gewalttäter Sport“ kommen, die mit Blick auf die WM 2006 eingerichtet wurde. Schon oft sahen sich Fans mit bundesweiten Stadionverboten konfrontiert, obwohl sie nichts weiter getan hatten, als irgendwann mal in einem Pulk zu stehen, aus dem heraus eine vermeintlich ungebührliche Tat begangen worden war. Umso bizarrer, dass nun schon Besucher von Viertligakicks bei den Behörden nachforschen müssen – entsprechende Standardformulare gibt es unter www.pro15:30.de –, ob sie als als „Gewalttäter“ eingestuft sind.

Während die Kieler Ordnungskräfte die AFC-Fans ursprünglich sogar des Stadions verweisen wollten, rief Victoria-Manager Jochen Dipner nur deshalb die Polizei, weil er die rund 80 Jahre alte Holztribüne des Hoheluftstadions in Brandgefahr sah. Dabei zeigten sich die 30 Kieler Bengalo-Freunde durchaus geschichtsbewusst. Sie waren nach Hamburg gereist, um via Feuerwerk an den größten Erfolg der Clubgeschichte zu erinnen: 1912 war Holstein Kiel durch ein 1:0 gegen den Karlsruher FV Deutscher Meister geworden – an der Hoheluft. „Eigentlich eine tolle Idee, wenn sie nicht pyromanisch angehaucht gewesen wäre“, sagt Dipner. „Ich habe denen ja vorgeschlagen, auf die Gegengerade zu gehen, da hätten sie das gern machen können.“

Solche Kompromisse sind angesichts der Rechtslage beim Norddeutschen Fußballverband (NFV) prinzipiell möglich. Der Sportgerichtsvorsitzende Winfried Hanschke, der für Feuerwerksfragen zuständig ist, sagt, es gebe in der Oberliga, anders als für die 1. bis 3. Liga, „keine klaren Richtlinien“. Deshalb habe der NFV bisher keine Sanktionen gegen Viertligisten verhängt. AFC-Vizepräsident Jürgen Kuntze-Braack hatte dagegen bisher – unter anderem über Lautsprecher in der Adolf-Jäger-Kampfbahn – behauptet, sein Club habe aufgrund von Rauchbomben beim Spiel gegen Meiendorf im Oktober eine „hohe Strafe“ zahlen müssen. So wollte er die AFC-Fans von der Feuerwerkerei abbringen. „Die Wahrheit“, relativiert Kuntze-Braack nun gegenüber der taz, sei, dass der Verein quasi „auf Bewährung“ bestraft worden sei: „Wir sind zu einer Strafe von 300 Euro veurteilt worden, aber weil wir Ersttäter sind, hat man sie uns erlassen.“ Sportgerichtsboss Hantschke indes reagiert auf Nachfrage entgeistert: „Altona Bewährungsstrafe?“ Davon wisse er nichts.

Kuntze-Braack findet „die vermeintlich wilden Zecken-Fans“ seines Clubs zwar „alle nett und ordentlich“, aber wie er mit ihnen umgehen soll, weiß er nicht. Der Old-School-Funktionär, der zum Beispiel fragt, ob die taz „auch in Altona verkauft wird“, lebt offensichtlich auf einem anderen Planeten. Juristisch klar ist: Ein Club kann mit Verweis auf sein Hausrecht handeln – beim AFC ist das Verbot von Feuerwerk in der Stadionordnung verankert –, er kann sich aber, wenn er sich sicher ist, dass niemand was aufs Spielfeld schmeißt, auch flexibel zeigen. Ob es in der 4. Liga künftig noch eine südländisch angehauchte Atmosphäre geben wird, ist also Verhandlungssache.