„Schwarze sind nicht nur Popstars“

Mike Reichel

„Deutschland hat eine rassistische Tradition. Die Polizei ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Daher wird man Rassismus auch in der Polizei finden“ „Ich habe mal eine Durchsuchung durchgeführt, und ein Rechtsanwalt hat mir hinterher rassistische Motive unterstellt. Er hatte in der Akte nur meinen Namen gelesen“

27.000 Menschen arbeiten bei der Berliner Polizei. Nur zehn bis zwölf davon haben eine schwarze Hautfarbe. Mike Reichel (40) ist einer von ihnen. Der Kriminalhauptkommissar leitet bei der Direktion 3 (zuständig für Mitte) das Kommissariat für Straßenraub und Jugendgewalt. Als er sich 1983 für den Beruf entschied, hat er befürchtet, in der Behörde auf mehr Anfeindungen zu stoßen, als dies dann der Fall war. So gesehen, sagt Reichel, sei er positiv überrascht worden. Das heißt aber nicht, dass es bei der Polizei keinen Rassismus gibt. Was Reichel erlebt hat, erfolgte nicht offen, sondern subtil, hinter vorgehaltener Hand. Indem zum Beispiel über ihn kolportiert wurde, er sei nur wegen seiner Hautfarbe so schnell die Karriereleiter nach oben gestolpert.

Interview PLUTONIA PLARRE

taz: Herr Reichel, wann sind Sie zuletzt in eine Polizeikontrolle geraten?

Mike Reichel: Das ist schon eine Weile her. Das war bei irgendeiner Maßnahme auf der Straße.

Wie sind Sie behandelt worden?

Ganz normal.

Sie kennen also nicht das Gefühl, allein wegen ihrer Hautfarbe verdächtig zu sein?

Das Gefühl kenne ich durchaus von Gesprächen mit Freunden und Bekannten. Die Wahrscheinlichkeit, von der Polizei überprüft zu werden, ist bei Schwarzen größer als bei Weißen.

Wie halten Sie es da aus, Polizist zu sein?

Ich weiß, dass das nicht die allumfassende Realität ist. Als ich 1983 zur Polizei ging, hatte ich die Befürchtung, auf mehr Rassismus zu treffen und auch mehr interne Kämpfe ausfechten zu müssen. Das war aber keineswegs so. Von daher bin ich positiv überrascht worden. Außerdem gehe ich mit einer anderen Einstellung ran.

Wie sieht die aus?

Deutschland hat eine rassistische Tradition. Das heißt nicht, dass ich Deutschland verdamme. Die Polizei ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Daher wird man Rassismus auch in der Polizei finden.

Aber die Polizei hat in der Gesellschaft eine besondere Bedeutung.

Darum wird sie in Bezug auf Rassismus ja auch nicht zu Unrecht sehr kritisch betrachtet.

Wollten Sie schon immer zur Kripo?

Nach dem Abitur war ich zunächst unentschlossen. Mich hat auch ein Medizin- oder Maschinenbaustudium interessiert. Ausschlaggebend war, dass der Ausbildungsplatz bei der Kriminalpolizei mit der Möglichkeit verbunden war, auf Anhieb Geld zu verdienen.

Ihr Vater, ein schwarzer amerikanischer GI, und ihre Mutter, eine weiße Deutsche, hatten sich gleich nach Ihrer Geburt getrennt.

Meine Mutter war allein erziehend. Ich wollte ihr nicht länger auf der Tasche liegen.

Gab es noch andere Gründe, die für die Polizei sprachen?

Es klingt viel zu idealistisch, aber ich fand es auch wichtig und interessant, ein schwarzer Polizist zu sein. Das ist heute auch eher der Grund, warum ich dieses Interview gebe: Ich möchte in die Köpfe der Menschen hineinbekommen, dass schwarze Deutsche eine Realität in dieser Gesellschaft sind. Dass Schwarze nicht nur Popstars und Sportler sind. Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich finde es sehr gut, dass es diese Leute gibt. Sie haben ganz viel für die schwarze Gemeinschaft getan.

Es gibt nur zehn bis zwölf Schwarze in der Polizei. 27.000 Kollegen sind Weiße. Was für Reaktionen haben Sie in 20 Jahren Dienstzeit erfahren?

Ich hatte immer das Gefühl, dass meine unmittelbaren Kollegen zu mir stehen. Dazu muss ich aber sagen, dass meine Vorgesetzen von Anfang an klar gemacht haben, dass ich ihre Rückendeckung habe. Nach dem Motto: Wenn irgendwelche Vorfälle passieren, soll ich das sofort melden. Das ist eine sehr gute Erfahrung. Die Realität ist nur oftmals anders. Wie in anderen Berufen gibt es auch bei der Polizei nicht die offenen rassistischen Angriffe. Das passiert eher hintenrum oder dadurch, dass einem eine Kompetenz bestritten wird.

Können Sie ein Beispiel erzählen?

Das ist mir in einem anderen Kommissariat passiert. Ich war damals noch recht jung und habe zusammen mit einem anderen Sachbearbeiter mehr Überstunden gemacht als alle anderen im Kommissariat zusammen. Hinter vorgehaltener Hand habe ich gehört, dass Menschen der Meinung waren, ich wäre nur deshalb so schnell befördert worden, weil ich ein Schwarzer bin.

Haben Sie sich gewehrt?

Man muss nicht auf alles eingehen. Mit Rassismus ist ein Schwarzer sein Leben lang konfrontiert, nicht nur in der Polizei. Das heißt nicht, dass man es ignorieren muss, aber ich glaube, es wirkt am besten, andere Menschen durch Präsenz und Arbeit zu überzeugen. Allerdings habe ich auch oft genug Diskussionen und Auseinandersetzungen gesucht. Grundsätzlich ist es immer wichtig, einzuschreiten und sich zu wehren.

Wie ist es bei der Bevölkerung? Hat ein schwarzer Kripobeamter andere Akzeptanzprobleme als ein weißer?

Im Wesentlichen nicht. Es gab zwar ein paar Vorfälle …

die natürlich sehr interessieren.

Der lustigste, an den ich mich erinnern kann, war, als ich allein in einem Haus ermittelt habe. Kaum dass ich die besagte Wohnung verlassen hatte, hat der Mieter den Funkwagen gerufen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass ich wirklich ein Polizist war. Ein anderes Mal wollte sich ein Betrunkener nicht von mir anfassen lassen. Das war bei mir das Dramatischste. Ich kenne aber auch andere Geschichten von Kollegen.

Zum Beispiel?

Eine schwarze Schutzpolizistin ist oft auf der Straße beschimpft worden. Im Funkwagen hat man in der Regel eine härtere Konfrontation zu bestehen als als Kriminalbeamter. Die Beamtin hat inzwischen den Dienst quittiert.

Gab es auch interne Gründe?

Es gab viele Gründe. Das ist auch immer eine Frage von Rückhalt. Das transportiert man nach außen. Wenn man diese Sicherheit von den Kollegen nicht erfährt, ist man viel angreifbarer. Die Frau hatte eine afrikanische Frisur, kleine unauffällige Zöpfe, die unter der Mütze verborgen waren. Schwarze haben aufgrund ihrer Haarstruktur nun mal andere Frisuren als Weiße. Der Abschnittsleiter hat ihr gesagt, sie soll sich in 14 Tagen eine andere Frisur zulegen. Der Mann ist zwar später vom Direktionsleiter zurückgepfiffen worden, der Vorfall zeigt aber, dass wenig Bereitschaft da ist, sich mit anderen kulturellen Hintergründen auseinander zu setzen.

Wie kommt es, dass gegen uniformierte Einheiten so häufig der Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit erhoben wird?

Ohne Zweifel gibt es Vorfälle, die eine rassistische Motivation haben. Es gibt aber auch Vorfälle, wo der Rassismusvorwurf instrumentalisiert wird, obwohl es sich um eine ganz reguläre Maßnahme handelt. Mir ist das auch mal passiert. Ich habe mal eine Durchsuchung durchgeführt, und ein Rechtsanwalt hat mir hinterher rassistische Motive unterstellt. Er hatte in der Akte nur meinen Namen gelesen.

Sie haben viel mit kriminellen Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu tun. Haben Sie es bei denen leichter als ihre Kollegen?

Es gibt auch viele weiße Polizisten, die einen guten Draht zu diesen Jugendlichen haben. Vieles hängt von der persönlichen Art und Weise ab, wie man die Jugendlichen anspricht. Ich bestreite aber nicht, dass es von Vorteil ist, einer Minderheit anzugehören. In bestimmte Situationen kann ich mich besser hineinversetzen. Meine Kollegen müssen öfters mit Vorurteilen kämpfen: Ihr seid alle Nazis. Hier kann ich als Schwarzer leichter eine Brücke überschreiten.

Muss in der Polizei mehr für interkulturelle Akzeptanz getan werden?

Ich tue mich ein bisschen schwer mit der Antwort. Es wird ja schon einiges getan: Seminare auf Ausbildungsebene und Angebote politischer Bildung. Barrieren und Vorurteile können meiner Meinung nach aber am besten durch ganz persönliche Kontakte in Schule, Beruf und Alltag abgebaut werden. Auch deshalb würde ich mir einen größeren Anteil von Angehörigen anderer Ethnien bei der Berliner Polizei wünschen.

Anfang des Jahres war ein Afrikaner wegen einer Überfallserie auf Tankstellen als „schwarzer Riese“ zur Fahndung ausgeschrieben. Was halten Sie von so einer Formulierung?

So etwas stößt mir schon auf. Im umgekehrten Fall würde wohl kaum jemand von einem „weißen Riesen“ sprechen. Auch in der Sprache mangelt es oft an Sensibilität. Begriffe wie „Negerkuss“ sind nach wie vor Usus. So ein abwertendes Wort wie Neger gibt es für Weiße schlichtweg nicht.

Noch eine private Frage: Ihre Freundin, mit der Sie einen dreijährigen Sohn und eine achtjährige Tochter haben, ist auch Schwarze. Ist das eine bewusste Abgrenzung?

Das ist eine bewusste Entscheidung. Mir ist es wichtig, bestimmte Erfahrungen zu teilen und meinen Kindern schwarze Vorbilder geben zu können, mit denen sie sich identifizieren können. Das ist aber keine Abgrenzung. Im Gegenteil. Viele schwarze Deutsche sind Spezialisten in Integration. Manche Weiße könnten sich davon eine Scheibe abschneiden. Wir leben in einem weißen Umfeld, haben weiße Partner, Freunde und Bekannte.

Sie selbst hatten in Ihrer Jugend keine schwarzen Vorbilder?

Die musste ich mir selbst zusammensuchen, weil ich kaum Verbindung zu Schwarzen hatte. Malcom X und Martin Luther King gehörten natürlich zu meinen Vorbildern. Sehr wichtig für mich war, als ich 1986 Kontakt zu der Initiative „Schwarze Deutsche und Schwarze in Deutschland“ (ISD) aufgenommen habe, in der ich bis heute Mitglied bin. Damals war ich schon in der Ausbildung bei der Polizei. In meiner Kindheit war es normal, mich als Mischling zu bezeichnen. Plötzlich wurde mir klar: Das ist ein völlig falscher Begriff, so redet man vonTieren.

Haben Sie in dieser Hinsicht als Kind, das in Charlottenburg aufgewachsen ist, noch mehr einschlägige Erfahrungen gemacht?

Es gab Situationen, wo ich mich völlig unterschiedslos zu den anderen gefühlt habe. Und es gab Vorfälle, die mir gezeigt haben, dass es doch nicht so ist. Es kam vor, dass ich beschimpft und auch tätlich angegriffen worden bin. Einmal bin ich zum Beispiel auf einem Spielplatz verprügelt worden. Zwei Jungs haben mich festgehalten, und einer hat zugehauen. Am Rand standen ein paar Frauen. Später habe ich erfahren, dass die eine, Mutter von einem der Angreifer, gesagt hat: Das ist ja bloß ein Neger. Es gab Situationen, wo ich mich einer ganzen Gruppe gegenüber gesehen habe und ein einziger Junge zu mir gestanden hat. Für ihn wäre es einfacher gewesen, mit dem Rudel zu laufen. Das Erlebnis war mich sehr einschneidend. Loyalität hat daher für mich eine zentrale und lebenswichtige Bedeutung.