Die Kamera auf dem Spielhelm

TV.Berlin inszeniert die Heimspiele von Eishockey-Drittligist als Reality-TV, inklusive Kamare in der Kabine. Die zwei Klassen höher spielenden Eisbären finden das seltsam

Lorenz Funk wirkt noch massiger, als er ohnehin schon ist. „Wir haben einen eigenen Fernsehsender wie Real Madrid oder Manchester United. Das ist einmalig“, schwärmt der schwergewichtige Präsident des Charlottenburger Eishockeyclubs Capitals. Der bayerische Pfundskerls checkt damit den übermächtig scheinenden Lokalrivalen EHC Eisbären aus der Top-Liga DEL medial an die Bande. Während die Spitzencracks aus Höhenschönhausen nur im Pay-TV-Sender Premiere dem Puck nachjagen, werden die Heimspiele der in die dritte Liga runtergerutschten Capitals von TV.Berlin in einer jeweils dreistündigen Aufzeichnung zelebriert. „So was gibt’s sonst höchstens bei Weltmeisterschaften“, jubelt Funk.

Jan Möller, Sportchef von TV.Berlin, preist den Capitalismus auf Kufen als „Sport und Unterhaltung mit Event-Charakter.“ Detlef Kornett, Eisbären-Chef in Hohenschönhausen, hält die Reportagen aus der Nachbarschaft hingegen für einen einzigen Ausrutscher. „Weder Produktion noch Spielniveau sind Aushängeschilder für das Eishockey. Ob das Werbung ist, wage ich zu bezweifeln“, giftet er. „Vielleicht fehlt Herrn Kornett der Sachverstand“, kontert Möller.

Immerhin hängen in der Regel 170.000 Capitals-Fans vor der Glotze, wenn „rasant spezial“ Spielerporträts, eine Kabinenkamera als Running-Gag (im Rotationsprinzip wird eine Kamera auf Spielerhelme montiert) und prominente Reporter auf den Bildschirm bringt – wie etwa Axel Kruse, Herthas früherer Profikicker. „Axel hat das richtige Fingerspitzengefühl. Als Sportler weiß er, zu wem er hingehen kann“, raunt Möller.

Leider gehen im Kabinengang die meisten Spieler dem guten Axel aus dem Weg. Nur Routinier Jan Schertz zeigt Fingerspitzengefühl und gesellt sich zum Reporter. „Na, alter Eisbär!“, begrüßt ihn dieser. Ein paar Sätze zum bisherigen Spielverlauf – und schon würde Axel den armen Jan am liebsten nicht mehr zurück aufs Eis gegen die Mighty Dogs aus Schweinfurt lassen. „Ich bin auch Ossi“, flötet Kruse. Der Caps-Stürmer schaut stur an der Kamera vorbei.

Capitals-Trainer Andy Brockmann gewinnt „Big Brother bei den Capitals“ keine schlechten Seiten ab. Den Verdacht, seine Jungs könnten im Scheinwerferlicht das gegnerische Tor nicht mehr erkennen, zerstreut er: „Wenn alle konzentriert sind, dürfte das kein Problem sein“, erklärt der Exnationalsspieler und Neffe von Präsident Funk. Um der Andy-These Nachdruck zu verleihen, schmettert Stefan Lesiejewski beim Spiel den Puck ins Tor. „Wir sind alle echte Männer“, röhrt der Berliner später in Kruses Mikrophon.

Das Oberliga-Leben wütet on the Rocks. Fachlich korrekt schildert Christian Fuhrmann in der Senderkabine unter der Hallendecke die Partie. Manchmal scheint es, als wäre der Kommentator aus der guten alten Capitals-Zeit in der DEL ein höheres Tempo gewöhnt. Fuhrmann ist verbal oft einen Schritt eher am Puck als die Kufenflitzer. Dennoch ist Fuhrmann mit dem Geschehen zufrieden: „Optisch sieht das gut aus!“

Auch akustisch kann sich das Spiel hören lassen. Mit 15 Kameras füllt das Sendeteam die spärlich besetzten Ränge im riesigen Oval der Deutschlandhalle. Meist werden anmutige weibliche Gäste in dicken, Burkas nicht unähnlichen Fan-Pullovern eingeblendet. Oder rustikale Herrschaften, die wild die Trommel rühren oder ihren Bierpegel auf einem akzeptablen Oberliga-Niveau halten. Schließlich siegen die Capitals mit 5:3 und auch TV.Berlin fühlt sich als Gewinner. JÜRGEN SCHULZ