berliner szenen Nie wieder kaufen

Snoopyland uffbauen

Mein Freund X ist Spanier. Er macht Karriere bei einem großen Konzern. Heute morgen habe ich eine liebe E-Mail von X bekommen. X erklärt mir, ich lebte in einem verwöhnten „Snoopyland“. Es sei höchste Zeit, dass die dekadenten Deutschen lernten, zu arbeiten. Ich solle endlich aufhören, als „eierkraulender Literaturwissenschaftler“ über den Kapitalismus zu meckern. Es ginge nicht an, immer nur zu kritisieren. Im Leben gelte es irgendwann auch einmal, aufzubauen und positiv zu denken. „Genug gefaulenzt!“, ermuntert mich X. Ich nehme die nette Post zum Anlass, den dringend fälligen Einkauf bei Aldi zu tätigen.

Es gilt, den Biervorrat in meinem gähnend leeren Kühlschrank aufzubauen. Pils in Plastikflaschen gibt es hier neuerdings. Das ist zwar pervers, aber billig. Kurz darauf, in der Schlange an der Kasse, steht ein Mann mit verkrümmtem Rücken vor mir. Er kann sein Kinn nicht von der Brust heben und schielt aufs Fließband. Hinter mir zappelt eine Oma. Sie schimpft: „Det die hier nur eene Kasse uffhaben, det darf doch nüscht wahr sein!“ Ein schwarzer Kunde möchte mit seinem Einkaufswagen an ihr vorbei. „Ick gloob ick spinne“, keift sie, „faulet Pack – anständije Menschen sind vormittags uff Arbeet! Davon haben die noch nüscht jehört – watt det heißt: zu arbeeten, uffzubauen.“

Zurück zur Literatur? Es sei noch nie so einfach gewesen, eine ästhetische Haltung einzunehmen, schreibt Michel Houellebecq in „Die Welt als Supermarkt“: „Es reicht aus, eine Ruhepause einzulegen, das Radio auszustellen, den Fernseher auszumachen; nichts mehr zu kaufen, nichts mehr kaufen zu wollen.“ Schöne Worte. Doch die Agenda 2010 kommt bestimmt. Und X wird mit den Deutschen zufrieden sein. JAN SÜSELBECK