Ein kurzer Prozess

Den EU-Regierungschefs ist es eilig mit der Unterschrift unter die Europäische Verfassung. Sie haben andere Sorgen

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Es war der gleiche Ort wie 1957, als in Rom die EWG aus der Taufe gehoben wurde – und doch war gestern bei der Unterzeichnung der EU-Verfassung alles anders. 1957 waren sechs Delegationen zusammengekommen; gestern drängelten sich die Vertreter von 29 Staaten im Kapitol. Nur draußen vor der Tür war es diesmal gespenstisch leer. Vor 47 Jahren hatte eine Menschenmenge an der Freitreppe im Regen gewartet – gestern präsentierte sich der Kapitolsplatz bis auf Polizisten und Hostessen vollkommen verwaist.

Rom im Belagerungszustand: Selbst als klatschendes, winkendes Publikum waren Römer und Touristen nicht gewünscht, als Blair, Chirac, Schröder, Fischer und all die anderen vorfuhren. Mehr als 7.000 Polizisten hatten alle Straßen und Plätze rund ums Kapitol nicht nur für Autos, sondern auch für Fußgänger abgeriegelt, selbst das Kolosseum und die Kaiserforen waren geschlossen. Terrorangst, nicht die Furcht vor Demonstranten diktierte die Sicherheitsmaßnahmen: Nur zwei Mini-Sit-ins weitab vom Geschehen begleiteten den Gipfel, eines von rechts für ein christlicheres, eines von links für ein sozialeres Europa.

Derweil hoben die Staats- und Regierungschefs drinnen im Saal die neue EU in einer flott abgewickelten Zeremonie aus der Taufe. Kaum einer der Redner verzichtete darauf, den Bogen zu schlagen, die EU als einzigartige Erfolgsgeschichte zu feiern, ob nun Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi, der holländische Regierungschef und EU-Ratspräsident Jan Peter Balkenende, der Präsident des Europaparlaments, Josep Borrell, oder Kommissionspräsident Romano Prodi. Prodi und seinem designierten Nachfolger José Manuel Barroso blieb es überlassen, über Festtagstöne hinaus auf die hohe Hürde hinzuweisen, die noch vor der EU liegt: auf den Ratifizierungsprozess, der in immerhin elf Ländern – darunter Frankreich und Großbritannien – von Volksabstimmungen abhängt.

Aktuell aber waren die EU-Politiker mehr mit der kleinen Krise der Gegenwart beschäftigt: dem Scheitern der neuen Barroso-Kommission im Europäischen Parlament. So strahlend Romano Prodi der Unterzeichnung beiwohnte, so übellaunig blickte Rocco Buttiglione drein, im Saal nicht als künftiger Kommissar, sondern als italienischer Europaminister. Er hatte guten Grund dazu: Sowohl Barroso als auch der italienische Außenminister Franco Frattini sind mittlerweile offen zu ihm auf Distanz gegangen.

Der Portugiese hat mit öffentlichen Erklärungen Buttiglione bereits faktisch den Stuhl vor die Tür gesetzt: Ein Kommissar, der das Vertrauen des Parlamentes nicht genieße, sei undenkbar. Frattini setzte nach: Er bezeichnete die Rebellion des EP als „positives Signal“, da das Parlament aus der Auseinandersetzung gestärkt hervorgehe, und auf die Frage, ob er selbst in die Kommission nachrücken könne, erwiderte Frattini trocken, das wisse er nicht, das sei Sache Berlusconis und Barrosos.

Der französische Ministerpräsident Jean Pierre Raffarin ließ unterdessen verlauten, er akzeptiere Homophobie ebenso wenig wie „Beleidigungen und Arroganz“, und Martin Schulz, Fraktionsvorsitzender der Sozialisten im EP, machte auf einer Veranstaltung der Europäischen Sozialistischen Partei in Rom deutlich, dass seine Fraktion allen Lösungsvorschlägen die Zustimmung verweigern werde, wenn Buttiglione weiter in der Kommission bleibe.

Buttiglione ist zur kaum zu rettenden Symbolfigur des Konflikts zwischen Kommission und Europäischem Parlament geworden, doch auch andere Kandidaten stehen weiter auf der Kippe (s. nebenstehenden Artikel). Barroso strebt daher eine Lösung an, die nun auch von Luxemburgs Regierungschef Jean Claude Juncker unterstützt wird: Man könne „nicht nur Buttiglione“ auswechseln, dies bedeute für Italien einen inakzeptablen Gesichtsverlust. Dann könnte Kanzler Schröder Recht behalten. Er äußerte gestern in Rom die Erwartung, in 14 Tagen könne der Konflikt bereinigt sein: „Dann ist das überstanden.“