Feiertag für Frühgänger

Dank des rekordverdächtigen Frühstarts schafft Schalke gegen Stuttgart einen Heimsieg. In der mediokren Bundesliga dürfen sich die Knappen nun sogar Spitzenmannschaft nennen

AUS GELSENKIRCHENMARTIN TEIGELER

Diesen Samstag werden sich die Frühgänger der Bundesliga rot im Kalender anstreichen. Jene Stadionbesucher, die fast zwanghaft vor dem Spielschluss das Weite suchen, dürften das 3:2 (3:2) des FC Schalke gegen den VfB Stuttgart genossen haben. Nach einer Minute und 40 Sekunden führten die Königsblauen mit 2:0. Ein Feiertag für alle Fußballfans, die gern frühzeitig das Stadion verlassen. Es gibt sie in jeder Spielstätte: Die Nervösen, die meist 20 oder 15 Minuten vor Abpfiff verschwinden – zum Parkplatz, zur U-Bahn-Station, um der Hektik und dem Verkehrschaos nach Spielende zu entgehen. Am Samstag hätten die Frühgänger also bequem nach weniger als zwei Minuten Richtung Ausgang gehen können. Was in den folgenden 88 Minuten geschah, änderte nichts mehr an der Tendenz der ersten 100 Sekunden.

„Ich habe auch keine Erklärung dafür“, sagte Stuttgart Trainer Matthias Sammer über den verpatzten Start. Er müsse zunächst mit seinen Spielern sprechen. Erste Minute: Fehlpass Markus Babbel, Steilvorlage für Ailton, 1:0 Schalke. Wiederanpfiff, Rückgabe auf VfB-Torwart Hildebrand, Fehlpass zu Kobiashvili, 2:0 für Schalke. Die zweitschnellste 2:0-Führung der Bundesliga-Geschichte. Nur beim Erstliga-Match zwischen den Offenbacher Kickers und Tennis Borussia Berlin am 8. November 1974 gelang ein noch rapideres 2:0. Siegfried Held erzielte für die Hessen einige Sekunden früher das zweite Tor. Endstand damals wie heute: 3:2.

Nach 25 Minuten schien das Fest der Frühgänger dann perfekt: Lincoln traf für den S04 zum 3:0. In der üblichen Bundesliga-Manier ließ Schalke die Schwaben nun anrennen. Doch die Defensive der Heimmannschaft tat dies so dilettantisch, dass der vermeintlich niedergeschlagene VfB noch einmal aufstand. Soldo und Szabics nutzten die Pannen in der Gelsenkirchener Abwehr. 33 Minuten lang hatten die 61.524 Besucher in der Schalke-Arena ein „phantastisches Fußballspiel“ gesehen, wie Schalkes Trainer Ralf Rangnick hinterher lobte.

In Halbzeit Zwei hatten die Zuschauer Gelegenheit, über das zuvor Erlebte zu plaudern. Oder Pilsbier auf Knappenkarte zu ordern. Oder die Ergebnisse der anderen Spiele auf dem Videowürfel zu studieren. Zwischen den vier Eckfahnen passierte nichts mehr. Es gab keine einzige Torchance. Stuttgarts Offensivaktionen wurden durch den eingewechselten Nationalstürmer Kevin Kuranyi nicht gefährlicher, sondern konfuser. Schalke verpasste sich einen zweiten, engen Abwehrgürtel um den aggressiven und zweikampfstarken Dänen Christian Poulsen.

Für einen letzten Glanzpunkt sorgte VfB-Coach Sammer bei der Pressekonferenz. Als er das Wort zur Spielanalyse ergreifen sollte, schwieg der frühere Dortmunder erst einmal. Eins. Zwei. Drei. Vier. Fünf. Sechs. Sieben oder acht Sekunden lang sagte Sammer nichts und blätterte statt dessen in der offiziellen Spielstatistik. Dann verlas er positive Zahlen. Bei Zweikampfwerten, Torschuss-Statistik und Ballkontakten habe seine Mannschaft immerhin vorn gelegen. „Da sieht man mal, wie Statistiken täuschen können“, stichelte S04-Trainer Rangnick.

Schalke und Stuttgart sind Beispiele für den Grad der Beschleunigung in der Liga. Sieger und Verlierer wechseln sich in dieser mediokren Spielklasse rasch ab. Ex-Tabellenführer Stuttgart schlittert nach drei Niederlagen in eine Krise. Ex-Chaosteam Schalke ist Tabellenzweiter und darf sich Spitzenmannschaft nennen. Genauso wie Wolfsburg, Mainz oder Hannover. Mittelmaß regiert die Fußball-Bundesliga.