„Weg vom deutschen Blockdenken“

In 112 Tagen, am 20. Februar 2005, wählt Schleswig-Holstein einen neuen Landtag. Im taz-Interview zur Wahl heute: Anke Spoorendonk, Spitzenkandidatin der Dänenpartei SSW, über Schule wie in Skandinavien und wechselnde Mehrheiten

„Die Meinung, Frauen sollten zu Hause bei den Kindern bleiben, ist nicht nur Vergeudung gesellschaftlicher Ressourcen, das ist Alter-Herren-Quatsch.“

Interview: Esther Geißlinger

taz: Ihnen muss es richtig gut gehen, Frau Spoorendonk. Für den SSW gilt die Fünf-Prozent-Klausel nicht, außerdem profitieren Sie vom Frust gegenüber den großen Parteien, entsprechend gut sehen die Umfragen aus: Müssen Sie eigentlich Wahlkampf machen?

Anke Spoorendonk: Dass wir von der Fünf-Prozent-Klausel befreit sind, heißt nicht, dass wir nicht auch eine Mindestzahl von Stimmen erreichen müssen, um in den Landtag einzuziehen. Und der SSW als Sammelbecken für frustrierte Wähler – das höre ich nicht so gern, weil wir uns nicht als Protestpartei profiliert haben oder profilieren möchten. Ich gehe davon aus, wer uns wählt, tut das unseres Programmes wegen oder weil er der Meinung ist, dass wir nicht nur eine sympathische Partei sind, sondern uns um die Belange des Landes und der dänischen und friesischen Minderheit kümmern.

Bei einem knappen Wahlergebnis könnte dem SSW die Schlüsselrolle zukommen. Sie haben sich dafür ausgesprochen, eine Minderheitsregierung zu tolerieren. Lieber Rot-Grün oder Schwarz-Gelb?

Wer eine Regierung bilden will, muss mit uns ins Gespräch kommen auf der Grundlage unserer Kernforderungen. Für uns steht die Politik im Mittelpunkt, nicht Ministerposten.

Sie sind beiden Lagern gegenüber offen?

Ja, in der Verhandlung sind wir offen. Für uns hat das mit mehr Demokratie zu tun, wir wollen das Parlament stärken – nach dem Vorbild der skandinavischen Länder, wo es fast nur Minderheitsregierungen gibt. Es muss möglich sein, mit wechselnden Mehrheiten zu regieren.

Die Grünen wollen lieber eine schwierige Koalition als eine wackelige Minderheitsregierung.

Wackelig muss es ja nicht sein, Verlässlichkeit muss da sein. Trotzdem sollten wir wegkommen von diesem Blockdenken, das etwas sehr Charakteristisches für die deutsche Politik ist. Ich weiß, es ist ungewohnt, aber wir wollen schließlich Veränderungen in der Gesellschaft.

Schließen Sie die Regierungsbeteiligung völlig aus?

In der Politik soll man nie nie sagen.

Der SSW ist eine Minderheitenvertretung. Wären Sie Teil der Regierung, müssten Sie alle Menschen vertreten. Wäre das der GAU für den SSW?

Der SSW sieht sich als Partei der dänischen Minderheit und der Friesen. Aber wir sind keine Lobbyisten. Wir sagen, dass Minderheitenpolitik Teil des gesellschaftlichen Auftrags ist.

Der SSW könnte also diese Herausforderung bestehen?

Das denke ich schon, aber es wird nicht einfach.

Kommen wir zu den Inhalten. In seinem Programm fordert der SSW, „dass die gesamte Gesellschaft der Massenarbeitslosigkeit entgegenwirkt“. Gute Idee, und wie sieht die Umsetzung aus?

Auf unserem Parteitag im September haben wir eine durchaus kritische Resolution zu Hartz IV beschlossen. Wir wollen eine aktive Arbeitsmarktpolitik und verweisen auf das dänische Beispiel. Dort wurden Strukturen entwickelt, die die Arbeitslosigkeit halbiert haben. Dazu gehört eine zielgenaue und effektive Vermittlung – bei der Bundesagentur für Arbeit schreit das Verhältnis von Beratern zu Ratsuchenden zum Himmel. Wir haben unterstützt, dass Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zusammengeführt werden, aber das Ergebnis sehen wir mit großen Bedenken. Wir kritisieren die Kürzungen des Arbeitslosengeldes und die Ein-Euro-Jobs. Wir schlagen Kombilohn-Modelle vor, damit hat man nördlich der Grenze gute Erfolge erzielt.

Außerdem gehört zur gesamtgesellschaftlichen Verantwortung für die Arbeitslosigkeit auch, dass die Unternehmen ihre soziale Verantwortung erkennen und annehmen. Wir führen zurzeit in Deutschland eine diffuse Diskussion, bei der von Staatsverschuldung bis Strukturänderung alles auf dem Tisch liegt. Ich kann verstehen, dass Menschen verunsichert sind. Dass sie denken, Arbeitslosigkeit führt zum sozialen Abstieg.

Das ist ja auch so.

Genau das ist unser Kritikpunkt. Darum sagen wir: Es darf keine soziale Katastrophe sein, arbeitslos zu werden. Dänemark zeigt, das geht nur, wenn das Arbeitslosengeld hoch genug ist, um einen sozialen Abstieg zu vermeiden. Deutschland ist kein armes Land, man muss sich mit der Verteilungsfrage auseinander setzen. Soziale Gerechtigkeit heißt, dass die stärksten Schultern die größten Lasten tragen.

Meine dänischen Freunde fassen sich an den Kopf, wenn sie hören, wie deutsche Manager argumentieren. Es geht immer nur in eine Richtung: Steuererleichterung. Ich sehe keine Strategie gegen Globalisierung, ich sehe nur das Argument, wir müssen die Kosten drücken, sonst geht das Unternehmen ins nächstbilligere Land.

Wie sieht Ihre Gegenstrategie aus?

Bildung, Weiterbildung und Qualifizierung sind der einzige Weg. Beispielsweise wird nichts getan für Langzeitarbeitslose. Es wäre ein Stück Glaubwürdigkeit, zu sagen: Wir müssen diese Menschen weiterqualifizieren. Wenn man einen flexiblen Arbeitsmarkt will, darf man nicht überall kürzen und zugleich den Kündigungsschutz aufheben. Wir fordern auch, dass Kinderbetreuung und familiengerechte Politik die andere Seite der Arbeitsmarktpolitik sein muss. Es gibt wenige Länder in Europa, in denen Frauen sich entscheiden müssen: Familie oder Beruf. Das ist nicht hinnehmbar.

Wie wollen Sie das aus dem Landeshaushalt bezahlen?

Das kann der schleswig-holsteinische Haushalt allein nicht leisten. Wir brauchen eine andere Steuerpolitik in der Bundesrepublik. Die Wirtschaft und die Besserverdienenden wollen weniger Steuern, das wurde jahrelang gemacht, aber ich sehe keine Erfolge dieser Politik.

Aber die Bundespolitik werden Sie nicht ändern können. Was tun Sie innerhalb des gegebenen Rahmens?

Ich sehe nicht, was man in Schleswig-Holstein noch streichen will. Die Haushaltssituation kann nur verbessert werden, indem mehr Steuern gezahlt werden, weil die Arbeitslosigkeit sinkt. Dazu passt ein Vorstoß der Landesregierung, den wir unterstützen, nämlich die Mehrwertsteuer zu erhöhen, um die Lohnnebenkosten zu senken.

Kommen wir zur Energiepolitik. Sie sind gegen Atomkraftwerke und für erneuerbare Energien, die SPD und natürlich die Grünen auch. Warum soll jemand deswegen SSW wählen?

Die Leute sollen uns ja auch nicht allein wegen der Atompolitik wählen. Aber es stimmt, wir haben mit den Grünen gut zusammengearbeitet auf diesem Gebiet. Der SSW hat schon vor Tschernobyl den Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen. Dezentrale Energieversorgung haben wir schon früh gefordert.

Aber die Grünen haben nicht alles bei Ihnen abgeschrieben?

(lacht): Nein, nein, es gibt ja unterschiedliche Quellen.

In der Verkehrspolitik fordern Sie bessere Bus- und Bahnnetze, um den ländlichen Raum zu stärken.

Das hat etwas mit unserer regionalen Verwurzelung im Landesteil Schleswig zu tun. Aber wir treten dafür ein, den Landesteil insgesamt anzubinden. Also: Wir sind auch für die A 20, wir sind für den Ausbau der Infrastruktur an der Westküste.

Und die Fehmarnbelt-Querung?

Für uns ist das eher ein Luftschloss. Anderes ist wichtiger, etwa die westliche Elbquerung und eine Bahnanbindung von Kiel an den Hamburger Flughafen Fuhlsbüttel.

Die SPD hat sich für eine zehnjährige Gesamtschule ausgesprochen, das müsste Ihnen doch gefallen?

Die ungeteilte Schule ist alte SSW-Politik, es ist schön, dass SPD und Grüne uns jetzt darin folgen. Aber statt nach Finnland zu fahren, hätte man die dänische Gesamtschule in Eckernförde besichtigen können, da sieht man, was man unter den geltenden Bedingungen machen kann. Die Schulen der dänischen Minderheit haben die sechsjährige Grundschule, das ist schon ein erster Schritt. Eine Zusammenlegung von Haupt- und Realschule ginge sofort. Mittelfristig wollen wir zweizügige, ungeteilte Schulen mit differenziertem Unterricht bis zur zehnten Klasse.

Das würde auch Frauen ermöglichen, sich nicht mehr zwischen Kind und Beruf entscheiden zu müssen.

Es muss mehr Betreuungsangebote geben, das schafft auch neue Arbeitsplätze und entkräftet das Argument, Frauen fänden ohnehin keine Arbeit. Einige Parteien waren lange der Meinung, dass Frauen am besten zuhause bei den Kindern bleiben. Das ist nicht nur Vergeudung von gesellschaftlichen Ressourcen, das ist Alter-Herren-Quatsch.