„Ich eine Seekuh? Kokolores“

Bernhard Blaszkiewitz

„Nashörner und Seekühe sind meine Favoriten – und natürlich Elefanten. Unter einem zu stehen, ihn zu füttern, es gibt kein schöneres Gefühl. Man ist eins mit dem Tier“„Bei unseren Rundschwanzseekühen ist es so: Wenn der eine Bulle deckt, wartet der andere in aller Ruhe. Er deckt dann eben noch mal. Da gibt es kein Rammen und nichts“

Wer mit ihm durch den Tierpark geht, lernt eine Menge: dass Ankhor, 21, für zwei, drei Kastenbrote gerne für ein Foto posiert zum Beispiel. Oder dass in einem Käfig, an dem „Jaguar“ steht, auch mal ein Amurleopard sitzt. Bernhard Blaszkiewitz, 50, achtet auf solche Fehler – seit 1991 ist er Direktor im Tierpark Friedrichsfelde. Sein Leben ist ohne Tiere nicht denkbar: Biologiestudium an der Freien Uni, Nebenjob als Tierpfleger im Zoologischen Garten, Zwischenstationen in den Zoos Frankfurt und Gelsenkirchen. Seit 1984 ist er wieder in Berlin – erst am Zoo, dann am Tierpark. Der beginnende Winter kann so jemanden nicht aus der Ruhe bringen.

INTERVIEW ULRICH SCHULTE

taz: Herr Blaszkiewitz, die kalte Jahreszeit beginnt. Das ist wohl die härteste Zeit für den Tierparkdirektor, oder?

Bernhard Blaszkiewitz: Warum? Wir haben nie große Schwierigkeiten. Die Besucher können sich in den beheizten Häusern ja ständig aufwärmen.

Zitternde Giraffen.

Falsch, die haben keine Probleme mit Kälte. Aber mit Glätte. Da muss man aufpassen: Sie rutschen schnell aus, auch wegen des hohen Schwerpunkts. Unsere tropischen Tiere kommen bei Frost zwar täglich, aber natürlich nur kurz raus.

Festfrierende Enten.

Sprudelanlagen halten einige Gewässer eisfrei, kälteunempfindliche Arten, etwa aus Nordamerika oder Nordasien, können draußen bleiben. Die anderen wintern wir ein, aber das sind Routinemaßnahmen. Neben der Schlangenfarm gibt es Gewächshäuser mit Abteilen, teils mit Wasser, teils ohne.

Euphorische Eisbären.

Quatsch. Die fühlen sich im Winter genauso wohl wie im Sommer.

Wo liegen die wirklichen Probleme?

Die Größe des Parks bedingt einen großen Arbeitsaufwand. Unsere Angestellten müssen den Schnee räumen und 18 Kilometer Spazierwege streuen. Wir nehmen nur Sand, wenn es taut, muss der wieder weggefegt werden – alles von Hand. Einiges erleichtert aber die Technik. Im Huftierbereich, zum Beispiel bei Kamelen und Pferden, sind Selbsttränken installiert. Das Tier trinkt aus einem Napf, automatisch fließt Wasser nach. Eine Heizspirale sorgt dafür, dass nichts einfriert. Früher mussten wir in Milchkannen warmes Wasser verteilen.

Manche Gehege werden doch sicher uninteressant, weil die Insassen Winterschlaf halten?

Die Präriehunde sind zum Beispiel weg. Sie haben sich einen feisten Bauch angefressen und verstopfen demnächst ihre Löcher, indem sie von innen Heu reinziehen. So ein Verhalten erklären wir dann auf den Schildern am Gehege.

Ist Zoodirektor ein Beruf, von dem man schon als Kind träumt?

Ich auf jeden Fall. Meine früheste Erinnerung ist das alte, im Krieg halb zerstörte Flusspferdhaus im Zoologischen Garten. Ich war 1956 mit meiner Oma da, gerade mal zwei Jahre alt. Also da muss schon jemand dafür gesorgt haben, dass ich das später mal werde.

Die Eltern – der Vater Speditionskaufmann, die Mutter Hausfrau – haben nicht gesagt, der Junge spinnt?

Nein, das war einfach klar. In meiner Schulzeit habe ich mich schon stark für die Systematik des Tierreichs interessiert – unter evolutionsbiologischen Gesichtspunkten. Also, welches Tier stammt von welchem ab, ist mit welchem verwandt. Ich bin ein gläubiger Mensch, für mich repräsentiert das die Mannigfaltigkeit der Schöpfung. Während meines Biologiestudiums an der Freien Universität habe ich im Zoo jahrelang nebenbei als Tierpfleger gearbeitet. Heute mache ich meinen Traumjob.

Was lieben Sie an Ihrem Beruf?

Für mich ist der Kontakt zu Tieren unheimlich wichtig. Nashörner, Seekühe, Flusspferde sind meine Favoriten – und natürlich Elefanten. Unter einem zu stehen, ihn zu füttern, die Fußfessel anzulegen, es gibt kaum ein schöneres Gefühl. Man ist eins mit dem Tier. Ich würde mich nicht scheuen, hier das Wort Vertrauen zu nennen.

Ziehen Sie je nach Stimmung bestimmte Tiere vor?

Wenn ich Ärger habe, sind Elefanten am besten. Als ich neulich stinksauer war, bin ich rüber zum Dickhäuterhaus. Mein Chefpfleger hat gesehen, was Sache ist, und gemeint: „Woll’n Se rinkommen, Chef? Ick hol ma Temi raus.’ Nach einer Viertelstunde war’s weg.

Wenn ich mir Sie als Tier vorstellen müsste, fiele mir die Seekuh ein. Kränkt Sie das?

Das ist mir egal. Solche Vergleiche halte ich für Kokolores.

Es ist ein Kompliment. Entspannt, friedlich, in sich ruhend – dieses Tier versteht zu leben.

Ich bin als Mensch zufrieden. Aber richtig, wer sich zehn Minuten vor unser Becken stellt, der merkt: Diese Ruhe geht auf mich über. Blöd sind sie übrigens auch nicht. Die Weibchen spielen gerne „Ich zieh dich ins Wasser“. Sie kommen an die Oberfläche, lassen sich den Rüssel tätscheln, und wenn ich ihnen unter die Achsel fasse, klemmen sie meine Hand fest und versuchen zu tauchen. Ich selbst habe 1994 das Seekuhbecken im Elefantenhaus anlegen lassen.

Haben auch Seekühe Abgründe?

Kaum, sie leben tatsächlich so harmonisch. Sehen Sie, worum gibt es Streit in einer Gesellschaft? Ums Essen und um die Frauen. Bei unseren Rundschwanzseekühen ist es so: Wenn der eine Bulle deckt, wartet der andere in aller Ruhe. Er deckt dann eben noch mal. Da gibt es kein Rammen und nichts.

Kann man überhaupt Menschen ernsthaft mit Tieren vergleichen?

Bedingt schon. Bei beiden ist ein großer Teil des Verhaltensrepertoires angeboren. Die Aussage, die Milieutheoretiker einst trafen, ist eben falsch: Der Mensch ist als weißes Blatt Papier geboren, darauf schreibt dann die Gesellschaft. Ich glaube, mindestens die Hälfte gibt uns die Natur mit. Wenn ich pubertierende Schulklassen im Park beobachte, ist das klassische Balzverhalten wichtiger, als die Tiere anzusehen: Die Jungs protzen, die Mädels zieren sich.

Nehmen wir Ankhor, den indischen Elefantenbullen auf unserem Foto. Hat er menschliche Züge?

Elefanten gehören zu den Säugetieren mit echtem Intelligenzverhalten, Ankhor ist kein Dummer. Ein Beispiel: Er ist zweimal in seinem Leben in den Außengraben gefallen. Beim ersten Mal – vielleicht hat ihn einer geschubst – brauchte er Stunden, um die Rampe am Grabenende zu finden. Am nächsten Tag ist er extra reingeklettert und kam sofort wieder hoch. Seitdem nie wieder. Er erkennt auch Personen. Dass Sie fremd waren, hat er genau gemerkt.

Eine beunruhigende Vorstellung.

Och, der war gerade gut drauf. Ist eh ein Freundlicher, 21 Jahre alt, zu den Kühen immer sanft und zurückhaltend.

Wie verhalten sich Elefanten in der Gruppe?

Auch in der Gruppe benehmen sie sich ab und an menschlich. Sie bilden zum Beispiel Allianzen. Zwei oder drei Kühe intrigieren gegen eine andere. Bei den Afrikanern hat jetzt die Führung gewechselt. Lange hat Dashi regiert, eine alte Kuh. Sie hat bis vor einigen Monaten den großen Zuchtbullen Tembo gemaßregelt – obwohl er längst stärker war. Neulich hat er sie in einer Rangelei besiegt, seitdem ist er der Chef, sie macht Platz. In freier Wildbahn sind Elefanten matriarchalisch organisiert. Große, alte Matronen regieren die Herde, die Bullen leben mit ein paar Kumpels abgesondert.

Sie haben sich als gläubig bezeichnet, nehmen aber anderen Geschöpfen Gottes die Freiheit. Ein Widerspruch?

Überhaupt nicht. Im Buch Mose steht, der Mensch mache sich die Erde untertan.

„Untertan machen“ gilt auch, wenn es nur ums Anschauen geht?

Ja. Die Beziehung zum Tier ist für mich eine von Gott gegebene Angelegenheit. Für die Psyche des Menschen ist der Kontakt zu Tieren unheimlich wichtig, gerade für Städter, die in einem der Natur entfremdeten Umfeld leben. Außerdem kann ich die Leute im Zoo bilden, kann ihnen Verständnis für die Natur nahe bringen, nicht zuletzt haben wir angesichts aussterbender Arten eine Arche-Funktion.

Aber rechtfertigt das, Tiere in ihren Bedürfnissen massiv einzuschränken?

Welche Bedürfnisse ein Tier hat, wissen wir nicht. Es kann sie nicht artikulieren. Ich schränke Tiere in ihren Fähigkeiten ein, das gebe ich sofort zu. Doch wir können nur beobachten, wie sich ein Tier in einer bestimmten Situation verhält. Es zeigt zum Beispiel Appetenzverhalten, verhält sich also vor einem Vorgang immer gleich: Der Panther läuft vor der Fütterungszeit im Käfig hin und her. Und dann kommt der Herr Rilke mit diesem bescheuerten Gedicht …

„Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt.“

Ich könnte brechen, wenn ich das höre. Es konstatiert, dass Panther das Bedürfnis haben, im Dschungel rumzulaufen. Wissen wir das? Ein Beispiel: Wir haben jetzt eine Voliere für Schneeeulen neu gebaut, sie ist einer Tundra-Landschaft nachempfunden – mit Krüppelkiefern und Büschen. Da sagten manche: Die armen Eulen, warum stehen da denn keine Tannen drin? Nun, Tundra ist Steppe. Die Kopie der natürlichen Umgebung war plötzlich tierunfreundlich.

Die frei fliegende Schneeeule ist nicht glücklicher als die eingesperrte?

Glück ist eine menschliche Kategorie. Aber bei uns hat die Eule alles, was sie braucht. Sie wird älter als in der Natur, sie vermehrt sich, sie zieht ihre Jungen auf. Die Frage ist immer: Wo ziehe ich die Grenze? Natürlich ist es Tierquälerei, Hühner in Batterien zu halten. Ich finde aber unsere Beschränkungen vertretbar, wenn man sie dem Nutzen gegenüberstellt.

Sie haben 1991 im Tierpark angefangen, direkt nach der Wende. Gab es Vorbehalte gegen den Wessi?

Ach Quatsch. Ost, West – für einen Berliner ist das alles nicht so tragisch.

Wie bitte? Keine Vorurteile?

Wirklich nicht. Meine interne Mannschaft kannte ich vorher, ich habe zu Mauerzeiten bestimmt zehnmal im Jahr den Tierpark besucht. Als Touristen durften wir ja mit dem behelfsmäßigen Personalausweis rüber. Der Park war ein weitgehend politikfreier Raum.

Gucken Ossis anders Tiere?

Nein, die Faszination für Tiere hat nichts mit einer Gesellschaftsordnung zu tun. Menschen lieben Tiere, das ist einfach so. Mit Pflanzen zum Beispiel ist es schwieriger. Ich wäre ungern Chef des Botanischen Gartens.

Im Sommer ist die halbe Stadt durchgedreht, weil sich eine ihrer Nashorndamen auf ihr Baby gesetzt und ihm das Bein gebrochen hat. Sind die Berliner besonders tierverrückt?

Schon, Tiere sind hier schnell Gesprächsthema. Da greift sofort massenhaft das berühmte Kindchen-Schema. Bei der kleinen Patna waren die Leute empört – im Sinne von: Wie kann die Mutter so was nur machen?

Dabei war es doch ein Versehen.

Dieses Nashornweibchen ist eine 68erin – ein bisschen alternativ, schlunzig und gammelt viel rum. Aber keine schlechte Mutter. Als wir das Junge wegnehmen wollten, wurde sie ganz böse.

Geht Ihnen der Presserummel, der dann losbricht, auf die Nerven?

Ich wäre ja blöd, für den Tierpark ist das positiv. Aber ich blocke manches ab. Zu einem kranken Nashorn lassen wir natürlich nur Leute, wenn Pfleger dabei sind. Auch Elefantenbabys kriegen einige Tage Zeit, sich zu gewöhnen. Da kommen schon mal Presseleute auf die Idee, Pfleger zu bestechen – um das Bild noch vor der anderen Zeitung zu haben. Als ob so ein Elefantenkind das Weltgeschehen bewegt.