Aus Zuschauern wurden mit einem Mal Fans

Turbine Potsdam überrascht sein Publikum mit einem spannenden Spiel im Europacup. Am Ende aber wird alles gut

Es ist ein schwieriges Publikum, das sich der deutsche Frauenfußballmeister Turbine Potsdam da herangezogen hat. Trainer Bernd Schröder lässt seit Jahren schnellen Offensivfußball spielen – und so sind es die Zuschauer im Karl-Liebknecht-Stadion beinahe schon gewöhnt, dass die Gegnerinnen regelrecht an die Wand gespielt werden. Ist das einmal nicht der Fall, reagieren die Fans mit einer Art Emotionsstreik. So geschehen gestern Nachmittag beim Spiel im Viertelfinale des Uefa-Cups der Frauen gegen den russischen Meister FC Energy Woronesh.

Das Hinspiel war 1:1 ausgegangen, und so waren die Russinnen gezwungen, das Spiel zu machen, um eine Chance zu haben, das Erreichen der Vorschlussrunde zu erreichen. Und das taten sie auch. Fassungslos beobachteten die knapp 3.000 Zuschauer den couragierten Auftritt der Mannschaft aus Südrussland. Im Stadion war es so ruhig, als gelte es, mitten im protestantischen Preußen den katholischen Totengedenktag Allerseelen schon einmal vorab zu begehen.

Nur gut, dass die Russinnen nach einer knappen Viertelstunde für zehn Minuten Konzentrationsprobleme hatten. Die Potsdamerin Anja Mittag spazierte durch die gesamte gegnerische Hälfte und schloss von der Strafraumgrenze zum 1:0 für Turbine ab. Dann vergab Conny Pohlers noch zwei Großchancen. Und jetzt zeigte sich, wie nett das Potsdamer Publikum in solchen Situation zu seiner Mannschaft sein kann. Ein kollektives „Mensch Conny!“ hallte durch die Haupttribüne, und die Fans waren nicht saurer auf die Fehlschützin als Kummer gewohnte Eltern auf ihr dreijähriges Kind, das bei jeder Mahlzeit seinen Trinkbecher umkippt. Aber auch hier äußerte sich das Verhalten eines mittlerweile doch arg verwöhnten Publikums.

Das merkte erst in der 51. Minute, dass es diesmal eng werden könnte, dass es nicht ganz so einfach wird, wieder mal einen historischen Sieg zu landen und zum ersten Mal das Halbfinale im Europacup zu erreichen. Den Russinnen war in jener Minute der Ausgleich gelungen, und aus den Zuschauern wurden mit einem Mal Fans. Es wurde laut im Stadion. Die Spielerinnen schienen darauf gewartet zu haben und spielten plötzlich unverkrampfter. Petra Wimbersky erzielte schnell das 2:1 (64.) und nach einem Foul an Conny Pohlers auch noch das 3:1 (72.) per Foulelfmeter. Danach wurde sie ausgewechselt – und gefeiert. Nach wochenlanger Verletzungspause hatte sie das erste Mal wieder gespielt. Es war ein Riesencomeback. Als Viola Odebrecht zehn Minuten vor Schluss das 4:1 erzielte, lehnte sich das Publikum zufrieden zurück. Jetzt war es so wie beinahe immer. Und es wurde wieder gestrahlt in Potsdam. Auch in die Fernsehkameras des ZDF – und die werden bekanntlich nicht jedes Mal aufgebaut, wenn eine Vereinsmannschaft Frauenfußball spielt.

Trainer Bernd Schröder freute sich wie ein Schneekönig und umarmte beinahe jeden, der ihm in den Weg kam. Auch um den brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck schlang er seine riesigen Arme. „Mensch, wir haben uns ja ewig nicht gesehen“, sagte er zum Landesvater. Spätestens im April, wenn das Uefa-Cup-Halbfinale gegen Trondheim ansteht, werden sie sich wohl wieder treffen. ANDREAS RÜTTENAUER