Epochen ohne Ende

Die Lust am Übertreiben und am wildwüchsigen Erzählen: In „Mein Leben als Fön“ erzählt ein Berliner Autorenkollektiv, das auch unter dem Namen Fön Musik macht, sehr vergnüglich von den aberwitzigen Abenteuern des Zeitreisenden K. L. McCoy

VON CHRISTIANE RÖSINGER

„Mein Leben als Fön“ scheint zunächst ein recht konstruiert wirkender Abenteuerroman zu sein. Hinter dem Autorenpseudonym K. L. McCoy verbirgt sich ein Berliner Autorenkollektiv aus Michael Ebmayer, Bruno Franceschini, Tilman Rammstedt und Florian Werner. Diese Literaten-Boygroup schreibt nicht nur auch für sich allein Bücher – so debütierte Tilmann Rammstedt im letzten Jahr mit seinem Roman „Erledigungen vor der Feier“, Michael Ebmeyer veröffentlichte in diesem Jahr seinen ersten Roman „Plüsch“ – , sondern vereint kennt man sie auch als Gruppe „Fön“, die in ihrem Programm Konzert und Kleinkunst vereinen, Poetry Slam und merkwürdige Popballaden, Jazz und melancholische Minimalmusik.

Die Historie ihres Gemeinschaftsromanes nun besagt, das Autorenkollektiv habe in einem Schließfach im Bahnhof Zoo einen unterirdischen Tunnel vorgefunden, der in ein riesiges Gewölbe voller Dokumente und Aufzeichnungen quer durch die Jahrhunderte führte. Es habe sich um die Aufzeichnungen des ominösen Zeitreisenden K. L. McCoy gehandelt, die in der Antike beginnen und im 20. Jahrhundert enden, auf Papyrusrollen, Pergament, Büttenbögen, Stein-und Wachstafeln festgehalten – und in sämtlichen Sprachen von Aramäisch über Swahili, von Dakota und Sanskrit bis hin zu nie gehörten rätoromanischen Dialekten verfasst seien. Das Autorenkollektiv, so wird behauptet, habe diese Aufzeichnungen dechiffriert und als Abenteuerroman zusammengestellt.

Die Geschichte beginnt im antiken Athen. Dort führt McCoy unter dem Decknamen Phoinos ein Streitgespräch mit dem Philosophen Sokrates. Doch kaum hat McCoy den Philosophen in einem langatmigen Streitgespräch besiegt, geht es weiter durch die Jahrhunderte. Zwar kann seine Nebenrolle als „Bloedelin“ im Nibelungenlied am Rande der 32. Aventiure nicht zweifelsfrei textlich belegt werden, aber sicher ist, dass McCoy auch im Mittelalter recht aktiv war. So landet er als Geldbote bei den pferdeverliebten Hunnen und läuft Gefahr, wegen einer kleinen Unregelmäßigkeit in der Kasse vom Hunnenkönig Attila hingerichtet zu werden. Doch McCoy erkennt den wunden Punkt des machtmüden König Attila – bei Schwein und Wein, Anekdoten und Albernheiten freundet man sich an.

Den amerikanischen Ureinwohnern versucht der Zeitreisende das Spiel Lacrosse beizubringen. Er scheitert an der Schwierigkeit, für fast tausend Männer einen Trainingstermin zu finden. Wenn es endlich heißt: „Klar Trainer, Tag nach Neumond ist notiert“, fragt kurz darauf Halbbruder des Windes, ob es nicht auch am Tag nach Neumond ginge, weil er am Tag nach Neumond heiraten will, Schwingender Grashalm kann da aber nicht, weil er schon mit Hirsch der vor Angst erstarrt ist und Heuchelndes Kaninchen zum Jagen verabredet ist.

Im Kapitel „Traurige Tropen“ ist McCoy auf einer einsamen Insel gestrandet und seine depressiven Aufzeichnungen zitieren gekonnt die Klassiker der Schiffbruchliteratur. Er überlebt seine Robinsonade mit Hilfe einer bis dahin unbekannten Tabakart, die auch von den Ureinwohnern der Insel gut angenommen wird. Am Ende hat er den Jamaikanern das Kiffen beigebracht.

Bei aller Lust am Übertreiben, am wildwüchsigen Erzählen und Schwadronieren halten sich die Autoren sprachlich genau ans jeweilige Genre, ob es nun der Briefroman des 18. Jahrhunderts, der Italo-Western oder Gespräche mit Sokrates sind. Aber kaum will der Leser sich im Genre zurücklehnen, das gerade dran ist, da nimmt die Geschichte eine wundersame Wendung und McCoy zieht weiter.

So landet er schließlich in einer Gefängniszelle mit einem säuerlichen Marquis de Sade, der nur an neuartigen Ausschweifungen interessiert ist; am Rio Grande kann er sich mit dem Prototyp des heutigen Haartrockners in letzter Sekunde den Weg frei schießen – und im Wien Siegmund Freuds geht es viel um Träume und Strudel und so fort.

Nach und nach stellt sich heraus, dass der eigenwillige Abenteuerroman durchaus seine Längen hat – Stellen wie die eingeschobene Familiensaga der „Tausenmarks“, die mit ihren bezugslosen Dialogen wiederum an die Tradition des absurden Theaters erinnert. Da hilft auch das Motiv des Föns nicht viel weiter, es ergibt keinen roten Faden, ist eigentlich ganz nutzlos. Vielleicht wäre weniger mehr gewesen, vielleicht hätte das Autorenkollektiv manchmal etwas mehr verweilen sollen.

Trotzdem ist „Mein Leben als Fön“ alles in allem eine außerordentlich vergnügliche Lektüre und reicht in ihrem Unterhaltungswert an die Werke der Showgrößen Rocko Schamoni und Funny van Dannen heran, die ja bekanntlich ebenfalls das Banale und das Erhabene kollidieren lassen.

K. L. McCoy: „Mein Leben als Fön“. Piper Verlag, München 2004, 208 Seiten, 12 €. Morgen, 2. 11., Buchpremiere ab 20 Uhr im Roten Salon in der Volksbühne, ab 22 Uhr weiter als Gruppe Fön im Café Eggers Landwehr, Rosa-Luxemburg-Str. 17, Mitte