Der Besuch der jungen Dame

Ferkelei im Schweinesystem: Der RAF-Terrorist Andreas Baader soll mit seiner Rechtsanwältin ein Kind gezeugt haben – im Hochsicherheitstrakt von Stammheim. So erzählt es ein Bewacher

„Das war ja keine Sache, die die Sicherheit tangierte“

von ANDREAS SPANNBAUER

Irgendwann im Dezember 1976 wurden die Justizbeamten im siebten Stock des Hochsicherheitsgefängnisses Stammheim stutzig. Bei ihren Wachgängen auf dem Flur des „langen Trakts“ hörten sie plötzlich Geräusche, die in der Betonburg im Norden Stuttgarts höchst unüblich waren. Ihr Ursprung: einer von drei Besuchsräumen für die Gefangenen der Rote-Armee-Fraktion (RAF). In den „Sprechzellen“, erinnert sich der ehemalige Vollzugsbeamte Horst Bubeck gegenüber der taz, empfingen die Terroristen privaten Besuch und trafen sich mit ihren Verteidigern. Bubeck, heute 70 Jahre alt, war damals für die Leitung des Terroristentrakts zuständig. Auch Andreas Baader, im RAF-Jargon „Generaldirektor“ genannt, besprach sich dort mit seiner damaligen Anwältin – und offensichtlich nicht nur das. Mit großer Wahrscheinlichkeit hat Baader, zu lebenslanger Haft und 15 Jahren Gefängnis verurteilt, dort ein Kind gezeugt.

Eines Tages, so Bubeck, seien die Dienst habenden Vollzugsbeamten zu ihm gekommen und hätten einen Vollzug der besonderen Art gemeldet. Aus der Sprechzelle, so berichteten die Bewacher ihrem Vorgesetzten, kämen „untypische Geräusche, die nicht unbedingt auf ein Verteidigergespräch schließen ließen“. Verdacht schöpften die Beamten auch nach dem Ende der Unterredung. Als die Anwältin aus der Besucherzelle herausgekommen sei, sei ihr Gesicht stark gerötet und ihre Frisur zersaust gewesen. Manchmal habe die Juristin erst auf dem Weg zum Fahrstuhl ihre Kleider geordnet. Es sei offensichtlich gewesen, dass Baader mehrmals Sex mit seiner Anwältin gehabt habe.

Bubeck jedoch schritt nicht ein. „Was hinter den Türen passiert, geht uns nichts an“, habe er seinen Mitarbeitern gesagt. In der Tat seien die beiden niemals in flagranti erwischt worden. Dennoch sei in den folgenden Wochen immer wieder die Rede von den „Besprechungen“ zwischen Baader („Ficken und Schießen sind ein Ding“) und seiner Verteidigerin gewesen. Irgendwann präsentierten die Beamten dann sogar Beweisstücke: Schamhaare. Der Fundort: ein Resopaltisch, Größe 70 mal 150 Zentimeter. Sie füllten die Indizien in einen Aschenbecher und brachten ihn dem Chef. Der eine oder andere sei ein bisschen sauer gewesen, dass Bubeck in der Affäre nicht härter durchgegriffen habe. Doch der sah keine Notwendigkeit: „Was hätte ich denn machen sollen? Mit Baader ein Gespräch unter Männern führen?“ Und letztendlich, sagt Bubeck, sei es ja „keine Sache gewesen, die die Sicherheit tangierte“.

Das Ambiente der Liebesspiele war alles andere als erotisch. Eine 20 Quadratmeter große Gemeinschaftszelle, in der die Klos abgedichtet und die Wandschränke entfernt worden waren. Ein Waschbecken, zwei große, vergitterte Fenster in Brusthöhe. An der Wand hingen Kalenderblätter mit Landschaftsbildern. An der Decke prangte eine große Neonleuchte, die Wände waren in einem abgetönten Weiß gestrichen. Die Anwältin, deren Namen Bubeck nicht preisgeben will, beschreibt er als „jung und attraktiv“. So um die dreißig sei sie damals gewesen.

Am 14. Januar 1977 nahm die Romanze ein jähes Ende. An diesem Tag wurde es ziemlich laut in der Zelle, „allerdings anders, als Sie denken“, so Bubeck. Es sei zu einem heftigen Wortgefecht gekommen. Nach kurzer Zeit habe Baader den Rufknopf gedrückt und verlangt, sofort zurück in seine Zelle gebracht zu werden. Seine Verteidigerin sei sofort zum Fahrstuhl und habe das Gebäude verlassen. Unmittelbar nach dem Vorfall verlangte Baader ein Gespräch mit Bubeck. Er überreichte ihm eine maschinengeschriebene Notiz: „Dem 2. Senat des OLG teile ich mit, dass das Mandat von Rechtsanwältin […] beendet ist.“

Baaders Verhalten erschien Bubeck nicht ungewöhnlich. Der RAF-Chef war unter den Vollzugsbeamten als „sehr impulsiv“ bekannt. „Der hätte ja am liebsten immer gleich jedem den Kopf abgerissen.“ Als es zum Streit kam, dachte Bubeck: „Na gut, jetzt hat er die rausgeschmissen.“ Die Anwältin kam nach dem Zerwürfnis mit Baader nicht mehr in den Terroristentrakt, wohl aber zu anderen Gefangenen, die in Stammheim inhaftiert waren. „Nach einigen Monaten merkten wir, dass sie schwanger ist“, sagt Bubeck. Im Herbst, nur wenige Wochen vor Baaders Tod, habe die Frau dann ihr Kind zur Welt gebracht. Heute vermutet Bubeck, dass die Frau an jenem Tag Baader von ihrer Schwangerschaft erzählt habe.

Einen letzten Beweis dafür, dass Baader das Kind gezeugt hat, gibt es nicht. Bubeck hält dies jedoch für sehr wahrscheinlich: „Ich bin mir fast sicher, dass das Kind von ihm stammte.“ Er hat die Geschichte nicht deshalb öffentlich gemacht, weil er seine jüngst erschienenen Erzählungen über Stammheim „mit einer Sexgeschichte“ auffrischen wollte. Sondern um eine These zu stützen, die in dem Buch „Stammheim“, das der Schriftsteller und taz-Autor Kurt Oesterle basierend auf Bubecks Erinnerungen veröffentlicht hat, vertreten wird: die Behauptung von der totalen Kontrolle im „Folterknast Stammheim“ sei nicht aufrechtzuerhalten. Dafür, so Bubeck, sei die Geschichte von Baader und seiner Geliebten der beste Beweis. Ein gutes Verhältnis hatte Baader zu Bubeck bis zuletzt nicht: „Hier drin“, teilte Baader an seinem letzten Lebenstag, dem 17. Oktober 1977, seinem letzten Besucher mit, sei Bubeck „das größte Schwein“.

In einer der drei betreffenden Sprechzellen, in denen Baader mit seiner Anwältin verkehrte, empfingen die RAF-Gefangenen auch Prominenz. Als der französische Schriftsteller Jean-Paul Satre 1974 die Terroristen besuchte, traf man sich in Baaders späterem Liebesnest. Seine anschließende Pressekonferenz schloss Sartre mit den Worten, die Haftbedingungen hätten die psychische Vernichtung der Gefangenen zum Ziel.