Mathilda bricht den Haka

Die Wallabies spielen wie die All Blacks – und umgekehrt. Das führt zu einem 22:10, weshalb nun Australien im Finale der Rugby-WM steht und nicht die eigentlich unschlagbaren Neuseeländer

aus Sydney MICHAEL LENZ

Was für eine Nacht. Sydney war eine einzige Party. Bei frühsommerlichen Temperaturen feierten die Australier am Samstag ausgelassen den Sieg ihrer Rugby-Nationalmannschaft gegen die als unschlagbar geltenden „All Blacks“ aus Neuseeland –und damit den Einzug der „Wallabies“ ins Endspiel am Samstag. Das Bier in den Kneipen floss in Strömen, und auch auch die Tränen. In der „Wallaby Bar“, dem Kneipenhauptquartier der „Wallabies“, die des fassungslosen Glücks; 200 Meter weiter, in der „Oneworld Sports Bar“, wo die „Kiwis“ Position bezogen hatten, die der Enttäuschung, des Frusts und der Wut. Mit 10:22 mussten sich die Neuseeländer dem Erzrivalen Australien geschlagen geben.

Eine Stunde vor dem Anpfiff des heimlichen Endspiels des 5. Rugby World Cups sah die Welt noch anders aus: Bei den Neuseeländern herrschte ausgelassene Stimmung. Den australischen Fans hingegen stand die Anspannung ins Gesicht geschrieben. Die Wallabies hatten sich während des gesamten Turniers in so schlechter Form präsentiert, dass sie Buchmachern, Fans und Medien gleichermaßen als der klare Underdog galten. Die Verteidigung in den vorangegangenen Spielen war eine Katastrophe, Ballverluste die Regel. Die „All Blacks“ hingegen hatten während des Turniers mit Kraft und Mut, Kampfgeist, Können, Eleganz und Spielfreude begeistert.

Dann erfolgte der Anpfiff – und schon nach zehn Spielminuten war die Überraschung perfekt: Die Australier spielten wie „All Blacks“ – und die Neuseeländer wie „Wallabies“. Mathilda hatte den Zauber des Haka gebrochen. Vor jedem Spiel nämlich führen die Neuseeländer das wohl bizarrste Schauspiel im internationalen Sport auf – den Maorikriegstanz „Haka“. Mit weit aufgerissenen, diabolisch verdrehten Augen, ausgestreckter Zunge und dem Ruf „Der Tod! Der Tod! Das Leben!“ soll den Gegnern das Fürchten gelehrt werden. Aber diesmal konterten 82.000 australische Fans lauthals mit dem leidenschaftlichen Absingen von Australiens heimlicher Nationalhymne, der Buschballade „Waltzing Mathilda“. Und Mathilda – keine Frau, sondern die Bezeichnung einer Art Schlafsack von Schafscherern auf der Walz – walzte ein ums andere Mal durch das Olympiastadion. Und bei jedem Punktgewinn der Wallabies wurde das Lied lauter, leidenschaftlicher und selbstbewusster vorgetragen.

Den All Blacks muss es immer mehr wie ein Totenlied geklungen haben. Rugby ist Neuseeland – und Neuseeland ist Rugby. In der inoffiziellen Hierarchie des Landes steht der Nationaltrainer der All Blacks ganz oben. Dann kommt sehr, sehr lange nichts. Und dann folgt der Premierminister. Gewinnen, vor allem gegen die ungeliebten Aussies, sehen die Kiwis als Geburtsrecht an. Und dann das: Die All Blacks irrten über das Spielfeld wie nervöse Hühner; nichts wollte den Mannen um Superstar Carlos Spencer gelingen. Aus der Traum, sich seit dem Gewinn des ersten Rugby Worlds Cups 1987 endlich wieder die Krone des Rugbysports zu erraufen.

Nun wird es wieder nichts. Um die Krone spielen nun Australien und England, das sich bei strömendem Regen mit einem fulminanten 24:7-Sieg über Frankreich den Einzug ins Endspiel sicherte. Auch die Engländer wurden von ihren rund 20.000 Schlachtenbummlern ins Finale gesungen – und zwar per „Swing Low, Sweet Chariot“.

Das verspricht schon jetzt ein äußerst stimmungsvolles Finale. Überhaupt ist der Rugby World Cup das größte internationale Sportereignis in Australien seit den Olympischen Spielen vor drei Jahren. Schätzungen der Australian Tourist Commission (ATC) zufolge werden knapp 40.000 internationale Besucher sowie über 100.000 Australier anlässlich der Halbfinalspielen, dem Play-off sowie dem Endspiel die Stadt bevölkern. Die Engländer stellen dabei das größte ausländische Rugbyfankontingent. Die Rivalen der „Wallabies“ um die Webb Ellis Trophäe – im Finale von 1991 unterlagen die Engländer auf heimischem Boden den Aussies mit 6: 12 – wurden in den australischen Medien vorab schon mal unfreundlich begrüßt. „Unser Willkommen für die Poms ist so lauwarm wie deren Bier“, schrieb eine Boulevardzeitung.