„Sie, der Herr mit dem Regenschirm!“

Die Beratungsstelle der Bremer Kriminalpolizei schult in Sachen Zivilcourage: Eine informative Performance

Welche Farbe hatte die Jacke des Täters: Beige, sand- oder schlammfarben?

„Zivilcourage“ ist derzeit der Renner bei der kriminalpolizeilichen Präventionsarbeit. Die Wartelisten für wissbegierige BürgerInnen sind hier sogar länger als bei „Straftaten gegen Ältere“ oder dem unerschöpflichen Thema „Fahrraddiebstahl“, das seit 2008 ebenfalls in der Beratungsstelle Am Wall angeboten wird. Also auf zur Selbst-Aufklärung.

Ein vorwiegend älteres Publikum sitzt dicht gedrängt im Ladenlokal, die Wände sind mit diversen „Möglichkeiten der Gebäudesicherung“ drapiert – von der einfachen „Sicherheitsfolie“, wie auch immer sie funktionieren mag, bis hin zu voluminösen Türverriegelungssystemen. Auch ein stattliches Sortiment an Tresortüren lädt zur Begutachtung ein, doch lange will der Blick nicht schweifen – schließlich geht es bei Kriminaloberkommissar Ihnen, dem Präventionstrainer, richtig zur Sache: „Abstand halten, Mitstreiter suchen, konkrete Menschen zu konkretem Handeln auffordern“, bläut er den konzentriert lauschenden Zuhörern als Verhaltensregeln in Sachen Zivilcourage ein. Etwa so: „Sie, der Herr mit dem Regenschirm, rufen Sie sofort die Polizei!“

Dann wird der Präventionsabend sogar interaktiv, wir sind bei „Maßregel drei“ angekommen: „Ich beobachte genau und präge mir Tätermerkmale ein.“„Beschreiben Sie mal den Kollegen Kowalewski“, sagt Ihnen und verteilt Formulare für ein Gedächtnisprotokoll und bunte Polizeikulis. Kowalewski, anfangs kurz vorgestellt, ist hinter einem Vorhang verschwunden, jetzt geht das Rätselraten los: Trug er Jacke oder Mantel, hat er Haare, Hemdkragen, vielleicht sogar ein besonderes Kennzeichen? „Sie würden sich wundern, was wir immer so für Täterbeschreibungen bekommen“, erklärt Ihnen seinen ratlos guckenden ZuhörerInnen. Die Angaben lägen meist so weit auseinander, „da müssten wir erstmal alles verhaften, was auf der Straße ist“.

Auch nach unserem Beschreibungs-Potpourri ließe sich höchstens das Phantombild eines mehrfach hybriden Wesens anfertigen. Die Abgleich mit dem lebenden Objekt ergibt: Schon an der Jacke sind die meisten gescheitert. „Was für eine Farbe ist das überhaupt?“, fragt selbst Ihnen irritiert. Beige, sand- oder schlammfarben? „Ist das nicht mies, sich so eine Jacke anzuziehen“, wird der vergnügt grinsende Kollege gerüffelt.

Nächster Praxistest: Schlagaderverletzung. „Jemandem wurde am Oberschenkel die Arterie durchtrennt, was tun Sie: Bein abbinden oder Druckverband anlegen?“ Beide Varianten finden Anhänger im Publikum. Selbst der anwesende Vizechef der Kriminalpolizei zögert eine Weile, bis er sich zu einem Druckverband durchringt. Richtig. „Sonst hätten Sie dem Menschen die Gefäße zerstört“, sagt Ihnen. Und so kommt zum fleißigen Üben der Täterbeschreibungdie nächste Hausaufgabe: dringend mal wieder einen Erste Hilfe-Kurs besuchen.

Dann üben wir „Ich-Botschaften“. Grundregeln in der Passant-Täter-Kommunikation: Letzteren immer schön Siezen, keine Konjunktive verwenden und alles mit gewichtiger Körpersprache untermauern. In der Tat: „Könnten Sie bitte die Frau loslassen?“ klingt anders als „ICH will, dass Sie die Frau loslassen!“ Dazu noch eine Prise Pfefferspray? „Volksbewaffnung lehnen wir grundsätzlich ab“, stellt Ihnen klar. Sprays seien gesetzlich zulässig, würden aber nur selten sinnvoll eingesetzt: „Üben Sie zumindest, die Düse in die richtige Richtung zu halten!“

Eine ältere Dame will jetzt mal ihren „Schrill-Alarm“ vorführen: „Piep piep piep piep“ macht die kleine Handtaschen-Sirene, „ich würde dazu noch ein Hilfe-Gebrüll anstimmen“, rät Ihnen trocken. Der Kommissar, Halbrandbrille, Ohrring, Seidenschal, hat Entertainer-Qualitäten.

Die ebenso informative wie unterhaltsame Unterweisung geht dem Ende entgegen, aber: Kein Zivilcourage-Abend ohne Erörterung der Füße-auf-Polster-Frage. Flegelhaftes Benehmen jugendlicher Randgruppen in öffentlichen Verkehrsmitteln ist ein unerschöpflicher Anlass für Abwägungsdiskussionen, ein gern bemühter Seismograph zur Erkundung von Risiken: Ab wann und in welcher Form lohnt sich das Eingreifen? Ihnen plädiert für die Vermeidung unnötiger Risiken, das Publikum lässt trotzdem nicht locker. Vorläufige Verhaftung nach Paragraf 127 der Strafprozessordnung? Das „Jedermann-Festnahmerecht“? Nicht doch!

Erst die Frage einer offenbar deutschstämmigen Muslima bringt die Diskussion endlich weg vom U-Bahn-Eskalationsthema: Wie stünde es mit Zivilcourage in eigener Sache? Wegen ihres Kopftuchs werde sie regelmäßig angepöbelt und wisse selten, wie sie sich wehren solle.

Auch Ihnen weiß das nicht, aber immerhin kann er ihr sein allgemeines Notfall-Schema anbieten: „Dumm helfen“ bedeute, sich selbst in Gefahr zu bringen, „schlau“ geholfen werde dann, wenn man stets genügend Sicherheitsabstand halte. Wie man den zu sich selbst einnimmt, kann der Muslima allerdings niemand erklären. HB