Wählen bleibt weiter umsonst

AUS WASHINGTON BERND PICKERT

Und wieder fällt ein Rekord: Rund vier Milliarden US-Dollar hat der diesjährige Wahlkampf um die Präsidentschaft und den Kongress gekostet – das ist rund eine Milliarde mehr als vor vier Jahren und mehr als je zuvor in der US-Geschichte. Dabei sollte doch das Gesetz zur Reform der Wahlkampffinanzierung, eingebracht von den Senatoren John McCain und Russell Feingold und 2002 verabschiedet, die Wahlkampfkosten insgesamt senken und den Einfluss der Geldgeber auf die Politik vermindern. Das Instrument: Nicht zweckgebundene Spenden an Parteien und Kandidaten, das so genannte Soft Money, wurden verboten. Lediglich Spenden in Höhe von maximal 2.000 US-Dollar im Jahr pro Kandidat und 25.000 Dollar jährlich pro Partei blieben erlaubt; wobei nicht nur die Präsidentschafts-, sondern auch die Kandidaten fürs Repräsentantenhaus und den Senat einschließlich der Vorwahlkandidaten gemeint waren.

Doch die Wahlkampfstrategen fanden schnell einen Ausweg: Da Spenden an partei- und kandidatenunabhängige Organisationen zum Zwecke der Demokratieförderung in unbegrenzter Höhe erlaubt blieben, mussten eben solche Organisationen gegründet werden. Benannt nach dem auf sie anzuwendenden Steuerparagrafen entstanden auf beiden Seiten etliche so genannte 527er-Gruppen, die unbegrenzt Geld dafür einwerben dürfen, die Bürger zur Wahl zu animieren oder bestimmte Sachthemen zu propagieren.

Sie müssen nur wenige Kriterien erfüllen: Sie dürfen nicht mit einem Wahlkampfteam zusammenarbeiten, und ihr Hauptziel darf nicht erkennbar die Unterstützung oder die Ablehnung bestimmter Kandidaten sein. Eigentlich.

Die Demokraten waren die Ersten, die erkannten, welche Chancen in den 527er-Gruppen für sie lagen. Überzeugt davon, dass eine hohe Wahlbeteiligung sich stets gut für die Demokraten auswirkt, entschieden sie, natürlich verdeckt, gemeinsam mit dem Multimilliardär George Soros, die Organisation America Come Together (ACT) zum Hauptempfänger dieses Soft Money zu machen. Soros, 1947 aus Ungarn in die USA emigriert, war in der Vergangenheit nicht als Geldgeber für die US-Politik aufgefallen. Erst seine harsche Kritik an der Politik von Präsident George W. Bush hat ihn dazu gebracht, sich umfassend gegen dessen Wiederwahl einzusetzen. Rund 25 Millionen US-Dollar hat Soros für Gruppen wie ACT und Moveon.org aufgebracht, davon rund 7 Millionen aus seinem Privatvermögen; daneben hat er ein Buch veröffentlicht („The Bubble of American Supremacy. The Costs of Bush’s War in Iraq“) und ist wochenlang zu Vorträgen gegen Bush durchs Land gereist.

ACT und Media Fund, ebenfalls eine den Demokraten zuzurechnende Organisation, stehen mit rund 62 und 52 Millionen US-Dollar an der Spitze der Empfänger von Soft Money. Hatten die Demokraten bei den 527ern bis vor rund einem halben Jahr einen deutlichen Vorsprung, so haben die Republikaner jetzt aufgeholt. Die wichtigsten 527er auf ihrer Seite sind Progress For America (PFA), gegründet von Tony Feather, dem Mitinhaber einer PR-Beratung, die vor allem für den Bush-Wahlkampf tätig ist, und die Swift Boat Veterans for Truth, gegründet von dem ehemaligen Patrouillenbootkommandanten John O’Neill. Ihre Veröffentlichung „Unfit for Command“, in der sie behaupteten, Kerry habe sich die Auszeichnungen für Verletzungen im Vietnamkrieg erschwindelt, brachte ihnen große Aufmerksamkeit und schadete Kerrys Ansehen nachhaltig.

Doch die Gelder flossen nicht in gleichem Umfang wie auf demokratischer Seite, wo neben Soros auch einige andere der laut Forbes-Liste reichsten US-Amerikaner Millionenbeträge investierten, etwa der Versicherungsunternehmer Peter Lewis, Hollywood-Produzent Stephen Bing oder die einstige Esprit-Gründerin Susie Tompkins-Buell. So versuchten die Republikaner, die Legalität der demokratischen 527er anzugreifen. Sie beschuldigten Soros, die Demokratische Partei praktisch aufgekauft und mit den Mobilisierungskampagnen der tausende von ACT bezahlten Helfer einfach die Parteiarbeit outgesourct zu haben. Da ist was dran: Wie Drückerkolonnen waren die Helfer der ACT für 8 Dollar Stundenlohn wochenlang in 13 Swing States unterwegs, ausgestattet mit Adressen und bunten Broschüren, die George W. Bush eine vernichtende Bilanz attestierten. Hunderttausende neuer Wähler wurden registriert.

Doch die Gerichte vertagten jede regulierende Rechtsprechung auf die Zeit nach dem 2. November. Damit fielen auch für die PFA alle gesetzlichen Schranken: Unter tätiger Mithilfe von Bushs Mastermind Karl Rove ging die PFA weiter auf Fundraising-Tour und schickt seither – ebenfalls nach dem Geist der Ausnahmeregelung illegal – in allen Swing States Fernsehspots über die Sender, deren Timing und Wortwahl ganz offenkundig eng mit der Bush-Kampagne abgestimmt ist. Unter den größten Geldgebern der PFA sind einige alte Bush-Freunde und Großunternehmer wie Dawn Arnall (Ameriquest Capital), T. Boone Pickens von BP Capital oder Wal-Mart-Chefin Alice Walton, die auf der Forbes-Liste der Reichsten auf Platz vier steht.

Im Unterschied zu den vor allem von Großspendern finanzierten 527ern haben die Parteien und Kandidaten bei dieser Wahl, unter aktiver Ausnutzung von Millionen E-Mail-Adressen, die Zahl der Kleinspender in die Höhe treiben können. Rund eine Million US-Bürger haben laut Angaben des Center for Responsive Politics mindestens 200 US-Dollar für den Wahlkampf gespendet. Insgesamt schätzt das Center, dass Spenden von Einzelpersonen an Parteien und Kandidaten im diesjährigen Wahlkampf rund 2,5 Milliarden US-Dollar ausmachen. Dazu kommen freilich die Spenden aus der Wirtschaft: Mit rund 4,8 Millionen Dollar, davon 57 Prozent an demokratische und 43 Prozent an republikanische Kandidaten, führt Goldman Sachs die Spenderliste an, auf demokratischer Seite gefolgt von Microsoft und Time Warner. Wichtigste Spender mit eindeutig republikanischer Präferenz sind Morgan Stanley, SBC Comunications, Merryl Lynch, Wal-Mart und United Parcel Service. Ihre Spenden gleichmäßig verteilt haben etwa die Citigroup, die Bank of America, JP Morgan und General Electric.

Allein die Kosten für das Rennen um die Präsidentschaft werden von Experten auf rund 1,2 Milliarden US-Dollar geschätzt – hier sind allerdings die Vorwahlkampagnen der Demokraten mit gerechnet. Laut Angaben des Center for Responsive Politics hat George W. Bush bislang insgesamt 360 Millionen US-Dollar an Spenden erhalten gegenüber 318 Millionen für John Kerry. Wichtigster Einzelspender Bushs ist wiederum Morgan Stanley mit rund 600.000 Dollar. Das Unternehmen taucht allerdings mit 180.000 Dollar an Spenden auch unter den Top 20 auf Kerrys Spenderliste auf. Nicht so umgekehrt: Kerrys wichtigste Geldgeber sind die University of California mit 603.000 und die Harvard University mit 340.000 Dollar. Unter Kerrys Top 20 sind allein fünf Universitäten, für Bush spendet keine einzige. Bei Kerry steht der Bildungsbereich an dritter, bei Bush erst an sechzehnter Stelle der Spender (7,5 Millionen Dollar für Kerry, 2 Millionen für Bush) – ein klares Signal dafür, dass sich der Wissenschaftsbetrieb einen Wachwechsel im Weißen Haus erhofft.

Wenn die Herkunft des Geldes ein Verweis auf die Politik ist, dann sprechen die vom Center for Responsive Politics veröffentlichten Branchendaten – neben einigen vergleichbaren Daten, etwa Spenden von Anwaltsfirmen – Bände: Bei Bush steht die Ölindustrie an 14. Stelle der Spender – sie taucht bei Kerry nicht auf. Umgekehrt erhält Kerry massive Unterstützung aus der Unterhaltungsbranche, die wiederum von Bush nichts wissen will. Die Automobilindustrie hingegen steuert nur für Bush nennenswerte Beträge bei, während sie bei Kerry keine Rolle spielt. Die großen Verlagshäuser andererseits unterstützen nur Kerry in erwähnenswertem Umfang.

Genug der Zahlen. Sicher ist, dass die Intention der Wahlkampffinanzierungsreform von 2002 gründlich gescheitert sein dürfte. Es ist denkbar und sogar wahrscheinlich, dass die Gerichte im nächsten Jahr bei der Überprüfung des Verhaltens insbesondere der so genannten 527er-Gruppen einschneidende Korrekturen verlangen werden, um dieses von beiden Seiten genutzte Schlupfloch für Soft Money zu schließen. „Wenn der Kongress nicht handelt“, zitiert die Washington Post den Chef der Bundeswahlbehörde, Michael E. Toner, „dann werden die 527er-Organisationen bei den Wahlen 2006 noch wichtiger. In einem Senats- oder Repräsentantenhauswahlkampf kann eine Gruppe, die 10 Millionen Dollar auftreiben kann, die gesamte Wahl umdrehen.“ Die Strategen beider Seiten werden zweifelsohne neue Lücken finden.

Sicher ist aber auch, dass der Kampf um die Wählergunst, wie immer die Wahl ausgeht, zumindest nicht davon entschieden worden ist, dass die eine oder die andere Seite über einen uneinholbaren Finanzvorteil verfügt hätte. Fraglich wird allerdings, ob das in der Situation denkbarer Unregelmäßigkeiten nach der Wahl auch noch so ist. Seit Wochen schon haben die Demokraten in ihren per Mail versandten Spendenaufrufen um Unterstützung für Anwaltskosten bei Wahlanfechtungen, Nachzählungen oder ähnlichen juristischen Nachspielen gebeten. „Es darf uns nie wieder passieren“, schrieben sie in Erinnerung an das Jahr 2000, „dass wir bei den Nachwahlkämpfen einfach kein Geld mehr haben.“