„Uns verbindet der Grundgedanke einer besseren Welt“

Auf dem Europäischen Sozialforum in Paris beschnuppern sich Antikapitalisten und Gewerkschafter aus Berlin – und loten Kooperationen aus

Revolution, Reformen – oder völlig neue Wege in neuen Bündnissen gehen: Noch ganz unter dem Eindruck des Erfolges der Berliner Großdemonstration vom ersten November waren mehrere hundert Globalisierungskritiker aus der Hauptstadt zum zweiten Europäischen Sozialforum (ESF) gefahren, das am Wochenende in Paris endete. Die deutschen Teilnehmer, ein Spektrum von linken Antikapitalisten bis zu gemäßigten Betriebsräten, bewegte vor allem eine Frage: Wie kann die Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften und der neuen außerparlamentarischen Opposition in Zukunft aussehen?

„Was uns verbindet, ist der Grundgedanke einer besseren Welt. Aber wir wollen niemandem etwas über ‚Weltrevolution‘ oder so aufquatschen. Vielmehr interessiert uns, was man konkret gerade für die Rechte von Arbeitern im weitesten Sinne tun kann“, sagt Martin von der international aktiven Gruppe „Revolution“. Man sähe in den Gewerkschaften „wichtige strategische Bündnispartner“.

Martin ist zusammen mit Freunden nach Paris gekommen, um auf Seminaren über künftige Aktionen der breit gefächerten Globalisierungsbewegung zu diskutieren. „Wir brauchen diesen Kern, um an die arbeitenden Menschen in den Betrieben heranzukommen, die hier auf dem Forum leider nur sehr wenig direkt vertreten sind“, sagt er.

Dafür waren umso mehr Gewerkschaftsfunktionäre und Betriebsräte in die französische Hauptstadt gekommen, um ihrerseits Kontakt zu Gruppen aufzunehmen, die den neuen internationalen Widerstand gegen Sozialabbau und Neoliberalismus mittragen. „Ich finde erfreulich, dass die Analysen beider Seiten doch sehr ähnlich ist. Auch ist positiv, dass ein gemeinsamer Blick auf mögliche Alternativen besteht“, so Ver.di-Chef Frank Bsirske am Rande eines Treffens der deutschen ESF-Teilnehmer. Die Demonstration am ersten November habe gezeigt, dass der Wunsch in der Bevölkerung nach Alternativen zur aktuellen Politik groß sei.

Bei dem Treffen hatten sich gerade die Gewerkschaftsführer harte Kritik anhören müssen – von ihrer eigenen Basis wie auch von linken Gruppen: Die hitzige Debatte reichte vom möglichen Generalstreik bis zum eher langsamen Entwickeln eines gemeinsamen Vorgehens.

„Das Zusammengehen beider Seiten ist sicher ein erfolgreicher Weg, aber kein konfliktfreier. So ist gerade im DGB noch nicht wirklich entschieden, ob er den Konflikt mit der rot-grünen Regierung wagen soll oder nur kleine Verbesserungen durchsetzen will“, sagte Michael Prütz vom Berliner Sozialforum. Seine Prognose: Ein Teil der Gewerkschaften werde sich in den nächsten Jahren der „neoliberalen Einheitspartei“ anschließen, der andere Flügel deutlich radikalisieren. Gerade hier sieht er Chancen für neue Bündnisse zwischen traditionellen und neuen Kräften. „Jahrelang haben wir getrennt gekämpft. Das ist jetzt eine völlig neue Situation für uns alle.“

Wie zahlreiche andere Redner auf dem Treffen warf er den Spitzen der alten Arbeitervertretungen vor, erst unter dem überwältigenden Eindruck der Demonstration in Berlin vor etwa zwei Wochen aufgewacht zu sein – und jetzt hektisch zu versuchen, auf einen längst fahrenden Zug aufzuspringen. Für seine flammende Rede erntete der Berliner tosenden Applaus im Saal, wo sich Dreadlock-Freaks, Studenten, Arbeitslose und Betriebsräte dicht an dicht drängten.

Eine Kritik, die auch in Richtung der IG Metall gerichtet war. Erst vor elf Wochen haben sich die Metaller mit dem ehemaligen Vorstandsmitglied Horst Schmitthenner einen „Sonderbeauftragten für die Kontakte zur außerparlamentarischen Opposition“ zugelegt.

Für eine Beurteilung eines neuen Bündnisses zwischen Aktivisten und Gewerkschaftern ist es offensichtlich noch zu früh. Einzelne aus der linksalternativen Szene bezweifeln auch Sinn und Zukunft der Sozialforen – etwa Hartmut Sonnenhol, „freischaffender Aktivist“ aus Neukölln: „Studenten, Freiberufler und Politprofis bekommen hier als ‚Delegierte‘ Akkreditierungsschilder umgehängt, damit sie sich für ein paar Tage wichtig fühlen können. Dann fahren sie mit dem Bewusstsein nach Hause, etwas erreicht zu haben – und alles geht weiter wie vorher.“

TOBIAS VON HEYMANN