Stuntman? Reporter!

Donal MacIntyre macht für die Reihe „BBC exklusiv“ TV-Journalismus: „MacIntyre Investigates“ – eine Mischung aus Wallraff und „Jackass“

Interview CHRISTIAN BUSS

taz: Für Ihre Arbeit haben Sie sich mit Luden und anderen zweifelhaften Gestalten angefreundet. Oft spielten Sie eine Rolle monatelang. Kann man da immer zwischen Gut und Böse unterscheiden?

Donal MacIntyre: Ich glaube nicht, dass es eine genaue Demarkationslinie zwischen Gut und Böse gibt. Mich interessiert im Übrigen weniger der Mensch, dem ich mich undercover nähere, als das Verbrechen, das er begangen haben könnte.

Das klingt – im Gegensatz zu manchen ihrer Anmoderationen – sehr unemotional.

Emotionen kann ich mir eigentlich auch nicht leisten. Ich war zum Beispiel gerade im Kosovo unterwegs, um dort Waffengeschäfte aufzudecken. Da treffe ich diesen wirklich gefährlichen Typen, diesen Killer. Ich weiß: Wenn er merken würde, dass ich verkabelt bin, wäre ich tot. In solchen Momenten musst du deine Angst abstellen können.

Ihre Sendungen, die in Deutschland Ende September starten, leben davon, dass Sie Ihren Gefühlen auch mal freien Lauf lassen …

Mich hat immer gestört, dass investigativer Journalismus nur die Ergebnisse zeigt, nicht aber den Weg dorthin. Uns geht es auch darum, Prozesse zu beschreiben. Deshalb wird der Zuschauer Zeuge unserer Fehler, unserer Frustration. Für eine Reportage über Hooligans waren wir insgesamt 18 Monate undercover im Einsatz, wir waren unendlich müde. Doch die Kamera wird in solchen Momenten nicht ausgeschaltet; auch nicht, wenn es intim wird. Nicht mal beim Pinkeln. Das schneiden wir für die Sendung natürlich raus. Aber im Zweifelsfall können solche Szenen für Gerichtsverhandlungen, die oft den Sendungen folgen, als Beweismittel verwendet werden

Wie verhielt es sich mit dem finanziellen Druck? Immerhin stellte Ihnen die BBC rekordverdächtige Etats zur Verfügung.

Ja, die BBC hat eine Menge Geld locker gemacht. Das stammt aus Rundfunkgebühren. Die BBC gehört ja nicht Aktionären, sie gehört den Menschen. Wir wissen, dass wir ihnen dafür etwas schuldig sind. Klingt schmalzig, was? Ist aber wirklich so. Es ist erstaunlich, zu welch unkonventionellen Dingen wir die BBC ermutigen konnten: Für eine Story über Frauenhandel haben wir tatsächlich ein eigenes Bordell eröffnet! Der Betrieb ist nicht wirklich losgegangen, hätte es aber jederzeit tun können. Das war wichtig, um zu zeigen, wer an diesem Geschäftszweig partizipiert. Es ging ja nicht nur um die albanische Mafia, sondern auch um die britische Mainstreamgesellschaft, deren Mitglieder auf die eine oder andere Weise auch daran verdienen.

Nach einer Reportage über sexuelle Ausbeutung in der Modewelt kam es zum Rechtsstreit mit der Agentur Elite. Die BBC ist eingeknickt.

Elite klagte, und die BBC ließ sich darauf ein, den Konflikt beizulegen. Anschuldigungen wurden entschärft, dafür entschuldigten sich die Chefs von Elite für ihr Verhalten. Ich habe mich nicht entschuldigt. Nicht immer sind die Rechtsabteilung der BBC und ich einer Meinung.

Die Polizei von Kent wollte sie aufgrund einer Reportage auch mal vor Gericht zur Veranwortung ziehen. Gleichzeitig kooperieren sie oft mit staatlichen Ermittlern …

Wir sind da offen. Wenn es der Aufklärung eines Verbrechens dient, kooperieren wir. Es kann aber auch vorkommen, dass wir gegen die Polizei ermitteln. Vor kurzem habe ich für die BBC die Reportage „The Secret Policeman“ produziert, in der mein Kollege Mark Daly undercover rassistische Umtriebe bei der Polizei von Manchester aufdeckt.

Sie haben sich schon mal mit Günter Wallraff getroffen. Konnten Sie Gemeinsamkeiten feststellen?

Günter und ich arbeiten prinzipiell ähnlich – und kommen doch aus unterschiedlichen Ecken. Ich habe keinen politischen Hintergrund. Ich bin so neutral, ich wähle nicht mal! Mir geht es darum, Ungerechtigkeiten aufzudecken – egal aus welcher Ecke. Das geht schlechter, wenn man politisches Gepäck mit sich rumträgt.

Sie haben für die BBC auch die Reihe „Wild Weather“ gedreht, für die Sie gefährliche Selbstversuche anstellen. Wirkt wie ein Wetter-Lehrfilm für die „Jackass“-Generation.

Ich nehme das mal als Kompliment. Tatsächlich erfreut mich die Resonanz der Kids. Ich habe die Sendung Schülern vorgestellt und gefragt, was sie gemacht hätten, wären sie an meiner Stelle gewesen. Jeder sagte eine Sache – Fallschschirmspringen oder Drachenfliegen. Nur ein kleines Mädchen antwortete leise: „Ich will alles.“ Das ist die richtige Einstellung!

Donal MacIntyre hat dem investigativen Fernsehjournalismus in Großbritannien neue Formate geöffnet. Die Reportagen, die er für die BBC in der Reihe „MacIntyre Investigates“ oder „MacIntyre Undercover“ gedreht hat, sollen jeweils 300.000 Pfund gekostet haben. Mit versteckter Kamera deckte er unhaltbare Zustände in Pflegeheimen oder organisierten Hooliganismus auf. Ab Dezember kann man sich hierzulande von MacIntyre ein Bild machen: Vox sendet einige seiner Undercover-Storys, die ARD zeigt das vierteilige Spektakel „Wild Weather“, wo MacIntyre waghalsige Selbstversuche anstellt