Reine Inspiration

Mit bezauberndem Tennis lässt Roger Federer auch Andre Agassi keine Chance und gewinnt den Masters Cup

HOUSTON taz ■ Wie man sich wohl fühlt, wenn der berühmte, besiegte Gegner nach dem letzten Spiel des Turniers in aller Öffentlichkeit vor 5.000 Zuschauern sagt: „Die Art, wie du spielst, ist eine Inspiration.“ Nun, Roger Federer genoss dieses Kompliment so sehr, wie er vorher das Finale des Masters Cups 2003 genossen hatte. Sein Sieg in drei berückenden Sätzen (6:3, 6:0, 6:3) war das letzte Ausrufezeichen der Saison. Modernes Tennis in seiner schönsten Form und die vom unterlegenen Andre Agassi bestätigte Erkenntnis: Besser geht’s nicht.

Auch als er am Ende in kleiner Runde entspannt mit kalifornischem Sekt im Plastikbecher auf den Erfolg anstieß, wunderte sich Federer noch darüber, wie traumhaft sich die Dinge entwickelt hatten. Keinen Ball hatte er am Anfang im Training getroffen, den Schläger im Frust bis hoch auf die Tribüne geworfen und mächtig Bedenken gehabt angesichts seiner starken Gruppe. Doch von dem Moment an, als er das nächtliche Spektakel des ersten Gruppenspiels gegen Agassi nach Abwehr zweier Matchbälle gewonnen hatte, fühlte er sich erleichtert, befreit und bereit zu neuen Taten.

Was das heißt, erlebten nacheinander David Nalbandian, Juan Carlos Ferrero, Andy Roddick und noch einmal Andre Agassi – von denen keiner auch nur einen Satz gewann. Über den ersten Satz des Finales meinte Federers schwedischer Trainer Peter Lundgren später fast verträumt, das sei einer der besten seines Schützlings in diesem Jahr gewesen. Es hat sich nichts daran geändert, dass er es manchmal kaum glauben kann, wie gut sein Mann spielt. Für Momente vergisst er immer wieder, kritischer Beobachter zu sein und tut nichts anderes als die Leute auf der Tribüne – er genießt, was er sieht. Zaubertennis.

Die Eleganz und Mühelosigkeit von Federers Schlägen hatte dieses Jahr schon die Engländer beim großen Sieg in Wimbledon verführt. Jenem Sieg, der alles Weitere möglich machte, weil er ihn von dem Druck befreite, Großes beweisen zu müssen. Wenn er so spielt wie in Wimbledon und diese Woche in Houston, dann gibt es keinen Besseren. Aber die entscheidende Frage in diesem Geschäft ist nicht, wie gut einer an seinem besten Tag spielt, sondern wie oft er so spielt. Deshalb ist es selbst aus Federers Sicht in Ordnung, dass am Ende des Jahres einer vor ihm steht in der Weltrangliste. Sieben Titel hat er gewonnen, Andy Roddick sechs, doch der Amerikaner hat die klar bessere Bilanz bei den Grand-Slam-Turnieren mit den Halbfinals in Australien und Wimbledon und dem Sieg bei den US Open. „Andy hat einen unglaublichen Sommer gehabt“, sagt Federer, „er ist die Nummer eins, ich bin die zwei, und das ist okay so.“

Federer und Roddick, Ferrero und die Argentinier Coria und Nalbandian sind zwischen 21 und 23 Jahre alt, wie auch der in dieser Saison schwächere Lleyton Hewitt, und es ist in diesem Jahr deutlich geworden, dass sie die lange erwartete neue Macht des Tennis sind. Unterschiedliche Spieler mit unterschiedlichen Fähigkeiten, in der Mischung attraktiv, aber auch jeder Einzelne – ein gutes Argument gegen all jene, die meinen, dem modernen Tennis fehle es an unverwechselbaren Typen.

Selbst Andre Agassi hat kein Problem damit, das zu akzeptieren. Dass ihn die schmerzhaft klare Niederlage im Finale des Masters Cups getroffen hat, war nicht zu übersehen. Zu gern hätte er beim Showdown des Jahres den zweiten Titel nach 1990 gewonnen, aber selbst eine Regenpause von zweieinhalb Stunden brachte ihm nichts, weil Federer danach genauso spielte wie zuvor. Zwischen dem Sieg im Halbfinale gegen Rainer Schüttler und dem Finale habe ihm einfach ein Tag Pause gefehlt, meinte Agassi, aber er habe in Houston eine tolle Woche erlebt und die motiviere ihn enorm fürs nächste Jahr. Auf schnellstem Weg wollte er heim zu Frau und Kindern nach Las Vegas, aber er versicherte, wieder zu kommen.

Roger Federer ging reich beschenkt. Mit einem mächtigen Glaspokal, einem Scheck über 1,52 Millionen Dollar und dem Schlüssel für ein rasantes Cabriolet des Titelsponsors – des zweiten deutschen Cabrios übrigens in diesem Jahr nach dem Sieg in München im Frühjahr. Und mit dem Gefühl im Gepäck, die Leute wie sich selbst verwöhnt zu haben mit seinem Spiel. Er verabschiedete sich als glücklicher Mann. DORIS HENKEL