„Ein archaisches Opferritual“

Der Run auf die Abwrackprämie ist ein Fest der letzten Stunde, sagt der Marktforscher Dirk Weller. Die Vernunft ist außer Kraft gesetzt – und danach herrscht Katerstimmung

DIRK WELLER ist Psychologe und betreut die Umfrageforschung einer Marktforschungsgesellschaft.

taz: Warum wollen jetzt alle ihre Autos verschrotten?

Dirk Weller: Das extreme Anspringen auf die Abwrackprämie kann man als Krisenleugnung verstehen. Es ist ein Fest der letzten Stunde, in dem alle Grenzen noch einmal aufgehoben werden.

Sozusagen ein letzter Tanz auf der „Titanic“?

Es sind auch noch weitere psychologische Faktoren wirksam, z. B. werden die Preise als neue Normalität verstanden. Die Autos sind demnach jetzt nicht 2.500 Euro billiger, sondern werden bald 2.500 Euro teurer.

Wieso hätte es dann nicht gereicht, wenn die Autohändler einfach einen Auto-Schlussverkauf ausgerufen hätten?

Durch das Staatliche bekommt das Phänomen eine kollektive Bedeutung. Es ist ein Gefühl der Genugtuung und emotionalen Entschädigung für die letzten Jahre, in denen man unter der finanziellen Kälte des Staates gelitten hat. Die Abwrackprämie wirkt wie ein warmer Regen, der der von Sparministern geschundenen Seele unwiderstehlich schmeichelt.

Warum gerade Autos?

Das Auto hat eine Sonderstellung, weil es in Deutschland historisch für Aufbruchstimmung und wirtschaftliche Vitalität steht. Deshalb eignet sich das Auto ideal für ein unbewusstes archaisches Opferritual. Gerade die Vitalitätssymbole einer Gemeinschaft werden paradoxerweise den Göttern geopfert, um den Gang der Dinge positiv zu beeinflussen.

Ist das Ganze eigentlich noch rational?

Nein. Diese vier psychologischen Mechanismen – die Krisenleugnung, Maßstabsverschiebung, Genugtuung und das Opferritual – setzen die Vernunft außer Kraft. Die Leute lassen sich mitreißen und verschulden sich zum Teil auch bis in einen kritischen Bereich hinein.

Das heißt, der Verbraucher ist am Ende der Dumme?

Nicht unbedingt. Der gefühlte Gewinn, das Triumphgefühl, kann so stark sein, dass es oft gar nicht so schlimm ist, wenn der Verkauf als Gebrauchtwagen vorteilhafter gewesen wäre.

Und was, wenn die Prämie ausbleibt?

Eine Katerstimmung ist zu erwarten. Die Verbraucher werden sich im Monat null bis x nach der Prämie sagen: „Wer jetzt erst kauft beziehungsweise jetzt noch kauft, ist doof.“

INTERVIEW: RANIAH SALLOUM