Viel Heimatsuche im Revier

Zwischen Strukturwandel und krampfhafter Selbstfindung arbeiten sich drei Theater im Ruhrgebiet am Begriff Heimat ab. Doch Heimat ohne Zukunft fördert eher Zersplitterungsprozesse

Neue Heimat? Das war nie eine Perspektive im Strukturwandel-Land

VON PETER ORTMANN

Das Ruhrgebiet kämpft um eine neue Identität, will Kulturhauptstadt Europas werden. Stadttheater in Essen und Moers beschäftigen sich mit dem Begriff Heimat. Beide Inszenierungen spielen im Ausland, die Essener sogar in einer richtigen bajuwarischen Kneipe mit eicherustikaler Resopaltheke und solidem Stammtisch. Die Zuschauer sitzen in der umgebauten SchREINerei, dem neuen Spielort des Grillo-Theaters unter dem Dach an Tischen, Bier des Sponsors wird ausgeschenkt – einzige Alternative ist Mineralwasser.

In „Heimatlos“, einer Wirtshausoper im Rausch von Reinhard P. Gruber, geht‘s um Arbeitslosigkeit, todesjodelnde Weibsbilder und die Liebe. Dennoch hat das steirische Stück verblüffende gesellschaftliche Bezüge: Der erwerbslose Hartl will die allein erziehende Kellnerin Maria, die sich lieber mit dem Jäger im Staatsdienst einlässt. Doch auf den hat auch die freiberufliche Sennerin Friedi ihr Auge geworfen. Sie beherrscht den tödlichen Jodler. Dazwischen intrigiert der südländische, schmierige Wirt Dragan, selbst scharf auf die vollbusige Ein-Euro-Job-Mutter. Ein Heimatromanansatz spiegelt ungewollt die Realität. Doch das derbe Komödienstadel-Stück endet blutig, alle bis auf den Erzähler sind tot. Keine Perspektive also für die von selbst schrumpfende Region. Und über Arbeitslosigkeit werden hier von der Bevölkerung ganz eigene Theaterstücke inszeniert.

Im kleinen SchlossTheater Moers arbeitet man sich lieber an den Plattitüden des Begriffs Heimat ab. Vier Menschen sind weit gereist, um an einem fernen Ort mit vielen Mücken ihr Heil zu finden. Es sind Klischees, die sie treiben. Outdoor-Abenteuer, Business im Globalisierungszeitalter, fernöstliche Spiritualität und vermeintliche künstlerische Selbstverwirklichung. Doch die persönliche Heimat blieb zu Hause.

In „Wieviel Heimat – eine theatralische Wurzelbehandlung“ lässt Regisseurin Birgit Oswald ihre Protagonisten gruppendynamisch in Kindheitserinnerungen schwelgen, um den Begriff Heimat zu lokalisieren. Die zusammengewürfelte Gruppe findet sich mühsam zusammen, intoniert in der Ferne „Kein schöner Land in dieser Zeit“. Ihre zarte Gemeinschaft, verbunden durch das, was sie verloren glaubten, könnte für alle eine neue Heimat werden. Am Ende gehen sie aber wieder ihrer Wege.

Neue Heimat? Das war nie eine Perspektive im Strukturwandel-Land. Heimat definiert sich zu großem Teil aus dem Fehlen von Fremdheit, Gefahrlosigkeit und einem gewissen Maß an Besitzstand. Begriffe, die jeder Mensch für sich anders interpretiert. Heimat sollte als Basis für eine neue regionale Identifikation entfallen. Politisch bräunlich verrostet darf sie nicht einmal herhalten für revierduselige Retrospektiven oder postkartenblau belastetem Tand. Insofern sind beide Theaterabende nett, aber auch wirkungslos. Das so nötige Bindeglied der vereinzelten Städter dieser Region auf ihrem Weg nach Europa bleibt noch im Dunkeln verborgen.

Und damit nicht genug. Im Bochumer Off-Theater Thealozzi steht „Bambis Rückkehr“ auf dem Spielplan – eine Heimatgroteske der freien Theatergruppe „Die Unwilligen“. Die Stimme des toten Rehs führt das Publikum durch das Stück von Ekki Eumann. Ob mit Bambi Identifikationsmöglichkeiten für das Ruhrgebiet gefunden werden können? Darüber sollte nicht einmal nachgedacht werden.