Welcome America!

Nur mal angenommen, George W. Bush siegte ein zweites Mal. Wie kann das liberale Amerika weiterleben? Kann es das überhaupt? Nein! Deshalb die Botschaft aus Berlin: Asyl für Amerika

von UWE RADA

„Ihr Völker der Welt, schaut auf diese Stadt!“ Mit diesen bewegenden Worten mobilisierte einst Ernst Reuter die Amerikaner, auf dass sie den Westen Berlins vom Joche der Sowjets befreiten. Die Luftbrücke, die diesem Aufruf folgte, war zugleich gelebtes transatlantisches Bündnis.

Heute steht dieses Bündnis vor seinem Scherbenhaufen, und der es zerstört hat, schickt sich an, ein zweites Mal Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika zu werden. Selbst ein so Amerikagläubiger wie der Schriftsteller Peter Schneider verliert da seinen Optimismus. „Die Wahlergebnisse werden Sieg und Niederlage in einem kulturellen Bürgerkrieg anzeigen“, rückt Schneider schon mal die Fronten zurecht.

Aber was ist schon ein tapferes Schneiderlein gegen all die toughen New-York-Times-Leser, quietschenden Michael-Moore-Groupies und geläuterten Kriegsveteranen, die einen weiteren Sieg Bushs am eigenen Leib erleben müssten?

Wie könnten sie dort weiterleben? Könnten sie das überhaupt? Was würde aus einem Harvard-Dozenten, der an seinem klapprigen Golf mit dem Aufkleber „Old Europe – Bündnis 90/Die Grünen“ herumknattert? Was aus der deutsch-amerikanisch-jüdische Kleinfamilie in Montclair, New Jersey, deren Kinder im Geiste der französischen Revolution erzogen werden? Was triebe der schwule Ethnologe, der am Washington Square so gerne an die deutsche Hauptstadt denkt? Sollen sie noch mal vier Jahre warten? In die innere Emigration? Zu den Waffen?

Es gibt eine Alternative, rufen wie ihnen da über den Atlantik zu, und diese Alternative heißt: „Welcome to Berlin!“

So wie das friedliebende Amerika einst Ernst Reuter und den Westberlinern geholfen hat, hilft das friedliebende Berlin nun seinen amerikanischen Freunden. „Ihr Bürger der neuen Welt“, so lautet unsere Einladung im Fall der Fälle, „schaut auf diese Stadt, sie bietet euch Asyl! Die Luftbrücke steht!“

Natürlich, ein bisserl Eigennutz ist schon dabei. Eine Massenflucht von der Ostküste an die Spree wäre richtig prima für die Hauptstadtkonjunktur. Profitieren würden die Flughäfen (Nonstop-USA-Verbindungen für die Heimwehtouristen), der Wohnungsmarkt (pretty flats in gardenhouses), die Unis (Brain-Gain statt Brain-Drain) und Michael Cullen (neues Publikum). Selbst California-Dream-Boy Klaus Wowereit wäre erleichtert, müsste er doch in der Demokraten-Diaspora nie wieder einem Dschordschdabbeljubusch die Hand schütteln.

Gleichwohl würden auch die Bush-Flüchtlinge ihre Freude haben. Sie würden in Berlin auf das Amerika stoßen, das sie in ihrer Heimat nicht finden. Ein großes, ein amerikanisches Berlin, in dem Michael Moore die Columbiahalle auch ohne Basecap füllen würde. Ein Berlin, in dem ein Bush-Gegner wie Michael Blumenthal das erfolgreichste Museum der Stadt führt. Ein Berlin, in dem die übergroße Mehrheit der 10.000 US-Bürger schon vor Wochen per Briefwahl für Kerry gestimmt hat. Vorausgesetzt, die US-Airforce hat die Post überm Atlantik nicht versehentlich abgeschossen.

Nur einer, der kriegt hier dann richtig Muffensausen: Daniel Coats, der bellizistische US-Botschafter aus der Neustädtischen Kirchstraße. Aber der wird bei einem Bush-Sieg ohnehin am Mittwoch Reißaus nehmen und – wie man munkelt – auf dem Sessel des neuen Außenministers der Republikanischen Staaten von Amerika landen. Bye-bye, Dani and Welcome America.