Serbien bleibt kopflos

Präsidentenwahl scheitert erneut an geringer Beteiligung. Ultranationalistischer Kandidat erzielt bestes Ergebnis

BELGRAD taz ■ Zum dritten Mal in Folge scheiterten am Sonntag in Serbien die Präsidentschaftswahlen an zu geringer Wahlbeteiligung. Der vorgeschriebene Zensus von fünfzig Prozent wurde abermals nicht überschritten, laut vorläufigen Endergebnissen gingen knapp über 38 Prozent der Wähler an die Urnen.

Die düstere Laune im Wahlstab der demokratischen, regierenden Koalition verwandelte sich nach den ersten Hochrechnungen in eine Katastrophenstimmung: Mit rund 46 Prozent schlug der rechtsradikale Ultranationalist Tomislav Nikolić, Kandidat der Serbischen Radikalen Partei (SRS), den linksliberalen, proeuropäischen Regierungskandidaten Dragoljub Micunović, der 35 Prozent der Stimmen bekam. „Der soziale Aspekt war während der Wahlkampagne sehr ausgeprägt. Menschen haben Angst um ihre Jobs und erkennen nicht, dass schmerzhafte Reformen notwendig sind“, sagte Außenminister Goran Svilanović, der Micunović’ Wahlkampagne unterstützte, der taz. Ursache für das Ergebnis sei auch in der „totalen Destruktion“ der politischen Szene und dem „Streit unter den demokratischen Kräften“ zu suchen. Der Sieg des rechtsradikalen Kandidaten würde den Partnern im Ausland „Angst einjagen“, wesentliche internationale Unterstützung könne Serbien erst nach vorgezogenen Parlamentswahlen am 28. Dezember erwarten.

Einige Meinungsforscher glauben, dass die Wähler der von Korruptionsaffären erschütterten Regierung einen Denkzettel verpassen wollten. Außerdem hätten die zwei stärksten Oppositionsparteien, Demokratische Partei Serbiens und G 17, zum Boykott aufgerufen.

Siegesstimmung herrschte im Lager der Radikalen. Triumphierend saß Nikolić zwischen den minderjährigen Söhnen seines Freundes und Parteichefs, Vojislav Šešelj, der wegen Kriegsverbrechen im Gefängnis des UNO-Tribunals in Den Haag sitzt. Leider habe ihn die geringe Beteiligung gehindert, Präsident Serbiens zu werden, erklärte Nikolić. Doch die „patriotischen Kräfte“ hätten gesiegt, die „Gegner des Haager Tribunals“ ihre Stärke gezeigt. Ermutigt durch das Vertrauen des Volkes würden sich die Radikalen auf die Parlamentswahlen vorbereiten.

Einfluss auf das gute Resultat des Radikalen hatte auch die Anklage des Haager Tribunals gegen vier serbische Armee- und Polizeigeneräle inmitten der Kampagne. Die Stimmen für Nikolić waren Stimmen gegen das Tribunal, das die meisten Menschen als ein „politisches Druckmittel“ gegen Serbien und seine „Kriegshelden“ betrachten.

Die nächsten Präsidentenwahlen wird man erst nach der Konstituierung der neuen Regierung frühestens Ende Januar ausschreiben können. Bis dahin wird ein totales Machtvakuum herrschen: Das Land hat keinen Präsidenten, die Regierung ist zurückgetreten, das Parlament aufgelöst worden. ANDREJ IVANJI