Immer noch Schwarz-Grün

Der Senatoren-Check nach einem Jahr: Was hat geklappt, was nicht, was wurde versprochen und (noch) nicht gehalten, und was ist von der Arbeit der zehn SenatorInnen zu halten – der taz-Test

Der Nette: Ole von Beust (CDU)

Persönlich kommt Hamburgs Erster Bürgermeister fast immer sympathisch und freundlich rüber, allzu viel politische Skrupel hat der gewiefte Taktiker jedoch nicht. Er hatte „Richter Gnadenlos“ Ronald Schill hoffähig gemacht, um ins Amt zu kommen, und ihn dann vom Hof gejagt. Rudolf Lange, Udo Nagel, Carsten Lüdemann und auch seinen Studienfreund und Mieter Roger Kusch opferte der Rechtsanwalt, wenn es opportun erschien. Für das Machtbündnis mit den Grünen nahm er Ärger mit der Wirtschaft in Kauf, und wenn ihm unterstellt wird, jede politische Überzeugung notfalls zu verkaufen, zuckt von Beust nur mit den Schultern. Denn für die CDU ist er die personifizierte Machtgarantie. Und im November 2011 wird Ole von Beust, der gestern am Ostermontag seinen 54. Geburtstag feierte, der am längsten amtierende Bürgermeister Hamburgs sein. SMV

Die Überzeugungstäterin:

Christa Goetsch (GAL)

Die grüne Schulsenatorin und Vize-Bürgermeisterin hat mit der Einrichtung der Primar- und Stadtteilschulen das größte und komplizierteste schwarz-grüne Reformprojekt vor der Brust und bekommt dabei viel Gegenwind. Trotz Vorbehalten in der CDU, massiver Kritik aus der SPD und von vielen betroffenen Schulen und Eltern treibt die 56-jährige Überzeugungstäterin die Umstrukturierung des Schulsystems beharrlich und mit ungeheurem Tatendrang voran. Dabei bezieht die Schulsenatorin auf den Schulkonferenzen möglichst viele betroffene Gruppen mit ein. Doch der Teufel der Mega-Reform steckt im Detail: Ob Goetschs praktische Umsetzung gelingen wird, bleibt erstmal offen. Und auch die Frage, ob sich das Koalitionsziel, 50 neue Ganztagsschulen zu eröffnen, umsetzen lassen wird, lässt sich nach einjähriger Amtszeit noch nicht sagen. MAC

Der Schattenmann:

Michael Freytag (CDU)

Er selbst sieht sich als unumstrittenen Nachfolger von Ole von Beust, doch Michael Freytag ist unbeirrt auf dem Weg vom Kronprinzen zum Schattenmann. Seine Schönrednerei über den Hamburger Haushalt und aktuell über die HSH Nordbank haben den Finanzsenator fast schon die letzten Restsympathien selbst der Wohlmeinenden gekostet, dafür wachsen auch in der CDU die Zweifel an den fachlichen Kompetenzen des Bankkaufmanns und Juristen. Wie lange der 50-Jährige noch Senator und Landesvorsitzender bleibt, entscheidet sich vermutlich im PUA Nordbank. Und selbst wenn Freytag den leidlich überstehen sollte, wird er wohl eher als Prince Charles der Hamburger Union enden denn als Erster Bürgermeister. Der Einzige, der das betrauern würde, wäre Michael Freytag selbst. SMV

Die Nüchterne: Anja Hajduk (GAL)

Sie gilt als faktensicher und detailversessen, und was Parteifreunde akribisch nennen, erinnert andere schon mal an Penetranz. Anja Hajduk ist ein Muster an Fleiß, Beharrlichkeit und Disziplin, und so wurde die Diplompsychologin zu einer im Bundestag hochgeschätzten Finanzpolitikerin und einer in Hamburg allseits respektierten GAL-Parteichefin sowie seit einem Jahr zu einer Bau-, Verkehrs- und Umweltsenatorin, deren Megabehörde Autobahnen und Straßen, Radwege und Stadtbahn, Shared Space und Umweltzonen plant und nebenbei noch das Klima retten soll. Dass dabei vieles noch in der Planung ist, liegt in der Natur der Sache. Für halbe Sachen allerdings ist die 45-Jährige nicht bekannt. Das wird schon. SMV

Der Hoffnungsvolle:

Axel Gedaschko (CDU)

Der Strahlemann wandert durch die konjunkturellen Niederungen und wartet auf den Aufschwung. Auch persönlich. Axel Gedaschko ist Hamburgs seit langem machtlosester Wirtschaftssenator. Sein Ressort wurde mächtig gestutzt, vor allem auf Betreiben von Finanzsenator Michael Freytag, der Gedaschko als Konkurrenten fürchten lernte. Jetzt bosselt der 49-jährige Jurist vor sich hin mit ein bisschen Konjunkturprogramm für Mittelstand und Kurzarbeit – und wartet auf bessere Zeiten. Sein Problem ist nach fast zwei Jahrzehnten in Niedersachsen seine fehlende Hausmacht in der Hanse-Union. Aber Gedaschko gilt als Macher mit Geduld. Er hat seine beste Zeit noch vor sich. SMV

Der softe Hardliner:

Christoph Ahlhaus (CDU)

Christoph Ahlhaus sitzt auf einem der heißesten Senats-Stühle: Der 39-Jährige muss die eigene Law-and-Order-Klientel bedienen, ohne die bürgerrechtsbewegte GAL zu verärgern – ein Spagat, der nicht reibungslos funktionieren kann. Ob Schanzenfest-Verbot oder Online-Durchsuchungen – immer wieder tut sich Innensenator Ahlhaus mit populistischen Forderungen hervor. Mal um Flagge zu zeigen, mal weil er die Konsequenzen seiner Schnellschüsse nicht ganz überblickt. Nicht selten musste Ahlhaus aus Koalitionsräson zurückrudern, hinterließ aber durch seine verbalen Vorstöße Duftmarken. Auch wenn er nach wie vor den Hardliner gibt, ist er im Umgang geschmeidig und selbst aus Sicht des grünen Koalitionspartners mittlerweile schwarz-grün-kompatibel. MAC

Der Musterschüler: Till Steffen (GAL)

Der grüne Justizsenator wirkt mitunter etwas farblos, weiß aber, was er will und setzt es beharrlich um. Mit dem neuen Strafvollzugsgesetz, der Stärkung der sozialtherapeutischen Gefangenen-Resozialisierung und dem Abbau der Gefängnis-Überkapazitäten hat der 35-jährige Senatoren-Benjamin eine Vielzahl von Projekten angepackt und treibt ihre Umsetzung zielstrebig voran. Steffens Stärke: Originär grüne Justizpolitik ohne ideologiebefrachtete Rhetorik. Dadurch bietet er dem konservativen Flügel des Koalitionspartners nur selten eine Angriffsfläche und wird selbst von der oppositionellen SPD gelobt. So leistet Till Steffen ganz pragmatisch nach und nach Sterbehilfe für Kuschs Spuren im Hamburger Strafvollzugs- und Justizsystem. MAC

Der Smarte: Dietrich Wersich (CDU)

Stets akkurat gescheitelt, nie schlecht gelaunt und immer ernsthaft in der Sache – der Sonnyboy der schwarz-grünen Koalition besticht schon durch formvollendetes Auftreten. Unauffällig und unideologisch agierend gelingt dem Sozialsenator meist problemlos der Schulterschluss mit dem grünen Koalitionspartner. Er setzte den Ausbau von Krippenplätzen und das kostenlose Kindergartenjahr zielstrebig um und entledigte sich des Dauerproblems seiner Vorgängerin, des Jugendknasts Feuerbergstraße. Themen wie die „soziale Spaltung Hamburgs“ sind dem ausgebildeten Mediziner allerdings fremd, und aus den Fällen der verhungerten Jessica und Lara zog er bislang kaum wahrnehmbare Konsequenzen. Auch zu den Themen Gesundheit und Verbraucherschutz hört man von dem zuständigen Senator nur wenig. MAC

Die Unsichtbare:

Herlind Gundelach (CDU)

Herlind wer? Hamburgs Wissenschaftssenatorin Gundelach regiert nach einem Jahr Amtszeit nur ganz knapp oberhalb der Wahrnehmungsschwelle. Nach fulminantem Blitzstart, bei dem sie das umstrittene Gesetz für die nachgelagerten Studiengebühren innerhalb weniger Wochen auf den Weg brachte und die Diskussion um die Rolle und Zukunft der Geisteswissenschaften belebte, tauchte Herlind Gundelach alsbald in der Versenkung ab. Mit großem Eifer schob die 60-Jährige noch das Thema Uni-Umzug auf den Kleinen Grasbrook an, um heute ohne erkennbares Konzept dazustehen. Auch die Finanzierung der Hafencity-Universität hakt. Als Tiger gestartet, als Bettvorleger gelandet, droht Herlind Gundelach nun die graue Maus des schwarz-grünen Senats zu werden. MAC

Die Getriebene:

Karin von Welck (parteilos)

Im Schatten der Elbphilharmonie hat Kultursenatorin Karin von Welck nicht viel zu lachen. Seit die einzige Parteilose im Senat vor einem Jahr die Zuständigkeit für das Prestigeprojekt im Hafen übernahm, musste sie vornehmlich schlechte Nachrichten verkünden, allen voran die Verdreifachung der Kosten auf 323 Millionen Euro – vorerst. Ansonsten müht sich die 61-jährige Professorin redlich um ordentliche Arbeit auf der Resterampe aus Kultur, Medien, Tourismus und Sport, die von Beust und Freytag ihr aufbürdeten. Aber vielleicht gewinnt die promovierte Ethnologin ja neue Erkenntnisse über die politische Exotik im Gemischtwarenladen. SMV