Kalle und der Maulwurf

René Marik wurde in YouTube berühmt, heute füllt er problemlos den Admiralspalast. Dabei ermöglichen ihm seine Handpuppen eine Publikumsbeschimpfung über Bande, die viel wirkungsvoller ist, als wenn er frontal draufhauen würde

Sein schneller YouTube-Ruhm hat Marik an seine Handpuppen gefesselt

VON DAVID DENK

Es ist nicht auszuschließen, dass René Marik Gegenstand eines Menschenexperiments ist. Forschungsfrage: Was macht der schnelle YouTube-Erfolg aus einem (Klein-)Künstler? Wie verkraftet er es, dass alle immer nur sehen wollen, wie er die Puppen tanzen lässt?

Seit zwei Jahren ist Marik, dieser steife Typ mit den angeklatschten Gelhaaren, nun schon unterwegs mit seinem Programm „Autschn! Ein Abend über die Liebe“ und hat es in dieser Zeit weit gebracht, von kleinen Comedyclubs bis in den großen Saal des Admiralspalasts. Im letzten Jahr hat der an der Berliner Schauspielschule „Ernst Busch“ ausgebildete Diplom-Puppenspieler den Prix Pantheon gewonnen – in der schönen Kategorie „Frühreif und verdorben“. Marik ist fast 39. Er habe „dem einst so depperten Kasperletheater ein großartig subversives Comeback beschert“, lobte die Jury. „René Marik beherrscht eine Kunst, deren Erfolg das tiefe Bedürfnis der Zuschauer spiegelt, einmal im Småland bei Ikea die Sau rauszulassen.“

Dieses Bedürfnis nach einem gepflegten infantilen Freakout war auch am Samstagabend im Admiralspalast von Anfang an mit Händen zu greifen. Man muss wohl dabei gewesen sein, um zu glauben, dass ausgewachsene Männer beim bloßen Anblick eines Froschhinterkopfs in beinahe hysterisches Gelächter verfallen. Da hat der Frosch namens Falkenhorst, der Kermit aus der Muppet Show nur äußerlich ähnelt, noch keinen Ton gesagt – womit wir wieder bei YouTube wären: Viele Zuschauer lachten einfach schon mal über Witze, die noch gar nicht gemacht waren, weil sie ja wussten, dass sie noch kommen würden. Darunter litt verständlicherweise das Vergnügen jener, die sich von Pointen immer noch am liebsten überraschen lassen.

Umso erstaunlicher, dass auch nach zwei Jahren „Autschn!“ immer noch viele Kinder im Publikum saßen. Deren Eltern sollten sich was schämen –nicht etwa, weil sie ihre Kleinen einer pantomimischen Kopulationsszene ausgesetzt haben oder der Hitler-Parodie eines mäßig talentierten Frosches („Eva, böck dich!“), sondern weil sie nichts verstanden haben: Mariks Puppencomedy funktioniert über die Regression. Und um wieder kindisch werden zu können, muss man erst mal erwachsen sein. So hatten die Kinder im Publikum dann auch wesentlich weniger zu lachen als ihre erwachsenen Begleiter, die sie zwischendurch immer wieder fragend musterten: Mami, was ist denn daran jetzt so komisch?

Zur Regression gehört auch, dass man für zwei Stunden seine gute Erziehung vergisst, die ja beispielsweise gebietet, dass man über die Missgeschicke anderer nicht lacht und erst recht nicht über die von Behinderten – bei Menschen zumindest. Mariks Maulwurf hingegen, genau wie der berlinernde Eisbär Kalle eine eher räudige Erscheinung, darf ausgelacht werden: Er ist fast blind, nuschelt, stottert und sagt „Rapante, Rapante, lassn Haate datte“, wenn er doch eigentlich „Rapunzel, Rapunzel, lass dein Haar herunter“ sagen will.

Kein Wunder, dass das Liebeswerben des Maulwurfs auch bei Schneewittchen und Fausts Gretchen, wie alle Frauenrollen dargestellt von einer Barbiepuppe mit auftoupierter Bonnie-Tyler-Mähne, auf taube Ohren stößt. Der Maulwurf leidet, das Publikum amüsiert sich prächtig. Das Scheitern der Anderen ist eben viel unterhaltsamer als das eigene. Und gescheitert wird viel bei Marik: In einem Sketch etwa treffen sich zwei weiße Baumwolllappen namens Dominik und Jacqueline, die, wie sich nach einer zähen Annäherung herausstellt, gern miteinander „ficken“ würden, sich aber nicht entscheiden können, bei wem zu Hause. Irgendwann wird es Jacqueline zu bunt, sie geht – alleine: „Tschüs, Dominik!“ Als der lebensmüde Maulwurf, über den schon so viel gelacht wurde, sich am Schluss des Programms auf der A 9 überfahren lässt, wird es allerdings schlagartig mucksmäuschenstill im Saal. Man fühlt sich ein kleines bisschen mitschuldig an seinem Tod – wie man auch in der Schulzeit dem Klassenopfer gegenüber immer leise Schuldgefühle hatte.

Mariks erzählt dem Publikum viel über sich selbst – ohne dass es sich verarscht fühlt

Mariks Kunst besteht darin, dem Publikum viel über sich selbst zu erzählen – ohne dass es sich beleidigt und verarscht fühlt. Seine Handpuppen ermöglichen ihm eine Publikumsbeschimpfung über Bande, die viel wirkungsvoller ist, als wenn er frontal draufhauen würde. Die Faszination des Puppenspiels beruht eben nicht nur auf der manuellen Belebung toter Materie, sondern insbesondere auf der Projektion menschlicher Eigenschaften, inklusive aller Unzulänglichkeiten, Komplexe und Abgründe, auf ein drollig anzuschauendes Stück Stoff.

Doch Marik will mehr – Liebeslieder singen. Sich über die zu Recht vergessene Esolyrikerin Elsbeth Bellartz lustig machen. Oder einen Hartz-IV-Empfänger spielen. Seine Fans hingegen wollen nur die von YouTube bekannten Greatest Hits – so wie von Nena alle immer nur „99 Luftballons“ hören wollen. Oder von den Scorpions „Wind Of Change“. Die eingestreuten Gesangseinlagen und Gedichtrezitationen nehmen Mariks Fans billigend in Kauf wie die Werbepausen in einem ProSieben-Film. Indem er ihnen gibt, was sie wollen, erkauft er sich die Freiräume, zu machen, was er will.

Dieses bisschen Auslauf kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass René Marik an der Kette liegt: Sein schneller YouTube-Ruhm hat ihn an seine Handpuppen gefesselt. Ohne Falkenhorst, Kalle und den Maulwurf wären umjubelte Auftritte im Admiralspalast undenkbar. Sollte er also eines Tages mal genug von ihnen haben (und von dem nicht gänzlich unprolligen Publikum, das sie anziehen) und sich weiterentwickeln wollen, gibt es für René Marik wohl nur einen Weg: alleine zurück in die kleinen Comedyclubs, aus denen er zusammen mit ihnen kam.