Ein Sieg der Vernunft

Der Bundestag wird kommende Woche das Gesetz zur Grünen Gentechnik verabschieden. Es spiegelt eine aufgeklärte Vorstellung von Fortschritt

In Kanada zeigen sich die ökologischen und ökonomischen Folgen einer gentechnischen Verseuchung

Die deutsche Novelle zur Grünen Gentechnik gehört zu den vorbildlichsten Gesetzen in diesem Bereich weltweit. Sie zeigt ein modernes und aufgeklärtes Verständnis von gesellschaftlichem Fortschritt, statt auf blinde Technikgläubigkeit zu setzen. Das tut angesichts der schlimmen Folgen altmodischer Fortschrittsvorstellungen auch Not. Erinnert sei nur an die glorreichen Heilsversprechungen der Krebs erregenden Kernkraft, des Nervengifts Holzschutzmittel, des Lungenkillers Asbest oder die – oh ja: innovativen – chemischen Stoffe in Gebrauchsgegenständen und Nahrungsmitteln, an denen weltweit immer mehr Menschen leiden – sei es durch Impotenz, Nervenschäden oder Neurodermitis.

Ein vorsichtiges Herangehen an gentechnisch veränderten Raps, Mais oder Weizen ist daher ein Gebot der Vernunft. Das neue Gesetz schafft genug Sicherungen für Mensch und Umwelt, weil die Grenzwerte ausreichend niedrig angesetzt wurden. Zugleich verspielt es aber auch nicht die möglichen Chancen der Grünen Gentechnik.

Wer wie die Verwalter des deutschen Wissenschaftsbetriebs behauptet, das Gesetz sei „innovationsfeindlich“, scheint von wissenschaftlichem Arbeiten nicht allzu beleckt zu sein. Schließlich ist ein grundlegendes Faktenstudium der Anfang jeder seriösen Forschung. Hätten die Herren Henkel und Winnacker das neue Gesetz gelesen, statt ihrem ideologischen Instinkt zu folgen, wäre ihnen aufgefallen, dass weite Teile der Reform den Geist der Deregulierung atmen. Da werden Genehmigungsverfahren teils beschleunigt, teils ganz abgeschafft. Da wird bei den Zulassungsgremien ein neuer Ausschuss gebildet, um die Zulassungsanträge schneller bearbeiten zu können. Und in Zukunft werden nur noch wenige Situationen denkbar sein, in denen deutsche Behörden Sicherheitsbedenken gegen Gen-Produkte erheben können, wenn sie einmal EU-weit genehmigt wurden. Ironie der Geschichte: Ausgerechnet eine grüne Ministerin korrigiert hier die forschungsfeindliche Überregulierung der christliberalen Kohl-Regierung.

Und wen das immer noch nicht überzeugt, den mag vielleicht folgendes „beruhigen“: Die Umwelt- und Ökobauernverbände liefen gegen entscheidende Passagen des Gesetzes Sturm. So wird die 0,9-Prozent-Grenze für die Kontamination von Nachbargrundstücken von Kritikern als viel zu hoch empfunden. Die technische Nachweisgrenze liegt schließlich bei 0,1 Prozent. Eine andere große Enttäuschung war die Haftung für diese Gentechnikschäden: Um die Forschung in Deutschland nicht zu gefährden, nimmt die Bundesregierung gegen den Rat von Rechtsexperten nicht die Biotech-Konzerne in die Pflicht, sondern verweist die Ökolandwirte auf Ansprüche gegen das finanziell oft schwächste Glied der Produktionskette: den aussäenden Gen-Bauern in der Nachbarschaft. So viel zum Thema „Gefährdung des Wissenschaftsstandorts Deutschland“.

Verantwortliche Politik lässt sich aber nicht auf eine simple „Innovations-Einbahnstraße“ reduzieren. Es ist daher ein Gebot weiser Voraussicht, wenn das neue Gentechnikgesetz versucht, u. a. in Form des Ökolandbaus einen starken gentechnikfreien Pfeiler in der Landwirtschaft zu erhalten. Nicht nur 70 Prozent der Verbraucher und Verbraucherinnen wollen das so; viele Risiken der Gentechnik sind auch unerforscht oder wurden gar bewusst unterdrückt.

Deshalb sieht das Gentechnik-Gesetz Regelungen zum Schutz konventioneller wie ökologischer Landwirte vor. Die Einführung einer so genannten guten fachlichen Praxis soll sicherstellen, dass gentechnisch veränderte Konstrukte nur in den jeweils eingesetzten Pflanzen selbst vorkommen. Breiten sie sich nämlich in der freien Natur aus, können sie andere Arten verdrängen und ökologisch schädliche Folgewirkungen verursachen.

Erheblicher Schaden kann auch benachbarten Landwirten oder Imkern drohen, die konventionell oder ökologisch arbeiten, wenn ihre Ernte durch das genetisch veränderte Erbgut kontaminiert wird und dadurch als genetisch verändert gekennzeichnet werden muss. Da im Ökolandbau der Einsatz der Gentechnik generell verboten ist, würde die Bioware dadurch unverkäuflich und der Betrieb ruiniert. Wer mit genmanipulierten Pflanzen hantiert, muss deshalb bestimmte Mindestabstände zu Nachbarfeldern einhalten, Pollenflugbarrieren einrichten, sich beim Anbau mit dem Nachbarn absprechen, dafür sorgen, dass Traktoren und Lagerhallen sauber von unnatürlichen Genkonstrukten gehalten werden.

Was passiert, wenn der Staat diese gute fachliche Praxis nicht vorschreibt, ist zur Zeit in Kanada zu beobachten: In bestimmten Sektoren ist dort gentechnikfreier Anbau wegen der schleichenden Verseuchung nicht mehr möglich. Damit ist die biologische Landwirtschaft am Ende. Zugleich erweisen sich gentechnisch veränderte Monokulturen nicht nur als extrem störungsanfällig, sondern führen auch zu einem massiven, bis zu 80-prozentigen Verlust der Artenvielfalt. Wegen der sich langfristig bildenden Resistenzen erhöht sich außerdem der Pestizideinsatz und vergiftet Böden und Grundwasser. Hinzu kommt die Gefahr, dass ein Rückgriff auf gentechnikfreie Kulturen wegen der Unumkehrbarkeit einmal in die Natur entlassener Konstrukte nicht mehr möglich ist – mit fatalen Folgen, wenn sich die von vielen Wissenschaftlern befürchteten gesundheitlichen Schäden durch solche Lebensmittel bewahrheiten sollten.

Das Gesetz schafft ausreichend Sicherungen für die Umwelt, ohne mögliche Chancen der Technik zu verspielen

Nun weiß aber jedes Kind, dass die bloße Einführung von Regeln nichts bringt, wenn ein Verstoß dagegen folgenlos bleibt. Regelmäßig tritt eine solche Haftung nur bei Verstoß gegen die genannten Verhaltenspflichten ein. In Spezialsituationen kann es aber auch zur Haftung ohne Verschulden kommen. Bei dieser „Gefährdungshaftung“ handelt es sich nicht um ein speziell für die Gentechnik erfundenes Folterinstrument, sondern um einen alten Rechtsgrundsatz des Umwelthaftungsrechts. Zuletzt bestätigt wurde der 1998 durch eine Umweltministerin namens Merkel bei der Einführung des Bundesbodenschutzgesetzes.

Rechtliche Bedenken gegen das neue Gentechnik-Gesetz bestehen nicht. Das deutsche Verfassungsrecht schützt nicht nur das Eigentum der Großkonzerne, sondern auch die Existenz ökologischer und konventioneller Kleinbetriebe. Mit den Sorgfalts- und Haftungsregelungen trägt der deutsche Gesetzgeber also nur dazu bei, dass die Einführung der agroindustriellen Gentechnik nicht zum Ruin der arbeitsplatzintensiven Ökobranche führt. Die verschuldensunabhängige Haftung des Merkel’schen Bodenschutzgesetzes hat das deutsche Verfassungsgericht im Jahre 2000 auch nicht beanstandet. Und gegen EU-Recht kann die Gesetzesnovelle schon deshalb nicht verstoßen, weil es im Jahr 2003 die EU-Kommission selbst war, die in ihren Koexistenzrichtlinien solche Regelungen empfahl und die Mitgliedstaaten durch eine Änderung des europäischen Gentechnikrechts explizit dazu ermächtigte. CHRISTOPH PALME