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Archiv-Artikel

Ethnische Gewalt in der chinesischen Provinz

In der Provinz Henan gehen Bauern der muslimischen Hui-Minderheit und der Han-Mehrheit aufeinander los. Auslöser des Konflikts mit mehreren Toten soll ein Verkehrsunfall gewesen sein. Behörden verhängen Nachrichtensperre

PEKING taz ■ Eigentlich gilt die alte chinesische Kaiserstadt Kaifeng in der Provinz Henan am Gelben Fluss als Symbol für das friedliche Zusammenleben der Kulturen: Muslime und auch Juden unterhielten hier unter kaiserlicher Erlaubnis über Jahrhunderte hinweg eigene Stadtviertel. Am Wochenende aber ist es vor den Toren Kaifengs zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen der chinesischen Han-Bevölkerung und der muslimischen Hui-Minderheit gekommen. Dabei wurden offenbar mehrere Menschen getötet. Ein ungeklärter Verkehrsunfall in der vergangenen Woche hatte die Unruhen wahrscheinlich ausgelöst. Hunderte von mit Feldwerkzeugen bewaffnete Bauern gingen aufeinander los, Hütten brannten, Kinder blieben zur Sicherheit in Schulen eingesperrt – bis die bewaffnete Volkspolizei, eine Einheit der Volksarmee, eingriff und die Zufahrten zu drei betroffenen Dörfern sperrte.

Da die Behörden eine Nachrichtensperre verhängten und sich die Aussagen telefonisch kontaktierter Personen vor Ort widersprachen, konnte die taz westliche Medienberichte nicht bestätigen, die von der Verhängung des Kriegsrechts über das Krisengebiet sprachen und meist zwischen fünf und zwanzig Todesopfer nannten. Mehrere Quellen hielten die einzig von der New York Times angeführte Zahl von 148 Toten für wesentlich zu hoch.

Dennoch handelte es sich offenbar um die seit Jahren schwersten Auseinandersetzungen zwischen Han und Hui. Letztere sind Nachkommen von Immigranten des 13. Jahrhunderts. In ganz China gibt es knapp 9 Millionen Hui. Im Gegensatz zur muslimischen Volksgruppe der Uiguren in Westchina, die erst von Mao Tse-tungs Truppen unterworfen wurde, gelten die Hui als in die chinesische Gesellschaft integriert. Sie unterscheiden sich äußerlich und linguistisch nicht von den Han-Chinesen. Dennoch war ein ethnisch motivierter Streit in Kaifeng nicht auszuschließen.

Zahlreiche Korruptionsfälle – meist im Zusammenhang mit der Rücknahme der bäuerlichen Landreform zugunsten von Industrieprojekten – führen derzeit überall in China zu lokalen Protesten, in denen die alten Feudalstrukturen der Dorf- und Familienclans ebenso wie alte ethnische Grenzen wieder zum Vorschein kommen. Im Westen wird von diesen Protesten nur selten berichtet, auch weil die kommunistischen Behörden meist schnell reagieren und die Konflikte vor Ort schlichten.

In Kaifeng kamen die Behörden zwar zu spät, um Opfer zu verhindern, doch fuhren am Montag ihre Lautsprecherwagen durch die Dörfer, um die streitenden Volksgruppen zu beruhigen. KP-Funktionäre zogen von Haus zu Haus, um Zustimmung zu einem Versöhnungsabkommen zwischen Han und Hui zu sammeln. Landesweit konnte die Partei durch solche lokalen Aktionen größere Gewaltausbrüche bislang verhindern.

Offen ist, wie sich in China die Protestkultur künftig entwickelt. Unter den Landbewohnern, die 60 Prozent der Bevölkerung stellen, hat sich längst herumgesprochen, dass sie am städtischen Wirtschaftsboom teilhaben. Gerade Kaifeng liegt inmitten bäuerlicher Elendsgebiete. Gut möglich, dass die Gewalt zwischen Han und Hui nur ein Ventil für gemeinsamen Armutsfrust ist. GEORG BLUME