Schröders Öger bringt die Parteibalance durcheinander

Noch bevor der Parteitag überhaupt begann, hatte der SPD-Vorsitzende bereits seine erste Niederlage kassiert: Die Geschichte von Knut Fleckenstein und Michael Zirpel

BOCHUM taz ■ Dies ist die Geschichte von Knut Fleckenstein und Michael Zirpel, zwei aufrechten Sozialdemokraten, die keiner kennt, die es aber geschafft haben, ihrem Parteivorsitzenden den schönen Sonntagabend zu versauen, ohne dass zu diesem Zeitpunkt klar war, ob diese kleine Schlappe für Gerhard Schröder ein gutes oder ein schlechtes Omen für den erst am Tag darauf beginnenden SPD-Parteitag sein würde.

Der Vorsitzende dieser beiden Sozialdemokraten war daran nicht ganz unschuldig. Gerhard Schröder hatte irgendwann im vorigen Jahr die Idee, den deutsch-türkischen Vorzeigeunternehmer Vural Öger als SPD-Kandidaten für die Europawahl im Juni 2004 zu gewinnen. Öger gleich Signal für den EU-Beitritt der Türkei gleich Werbung bei der türkischstämmigen Wählerschaft in Deutschland – so einfach war Schröders Kalkül. Er beauftragte seinen General Olaf Scholz mit den Details dieser Operation. Öger hatte Interesse, Scholz platzierte Öger auf Platz 10 der Europawahlliste, fertig war die Laube.

Bis sich in der SPD Unmut breit machte. Hat der Öger schon mal Plakate geklebt?, wurde gemault und gestreut, der erfolgreiche Reiseunternehmer („Öger Tours“) würde doch wohl weniger die deutschen, sondern mehr die türkischen Interessen im Europaparlament vertreten. Aber das eigentliche Problem war ein ganz anderes: Mit Öger auf dem sicheren Platz 10 rückten alle anderen Kandidaten auf der Liste einen Platz nach hinten. Und mit Öger als Kandidat der Parteispitze geriet die sorgsam austarierte Statik des Unternehmens – Männer/Frauen, starke/schwache Landesverbände – ins Wanken.

Sonntagabend bei der Europa-Delegiertenkonferenz stürzte es ein. Und hier kommen wieder Herr Fleckenstein und Herr Zirpel ins Spiel. Knut Fleckenstein aus Hamburg war für Platz 31 der Europaliste vorgesehen, Michael Zirpel aus Bayern ursprünglich für Platz 35. Geschenkt, könnte man sagen. Aber die Nummer 35 ist im Vergleich zur Nummer 31 unter Umständen die so genannte Arschkarte: Bei der Europawahl 1999 gewann die SPD nur 33 Mandate, und besser als vor vier Jahren geht’s der Partei heute nicht unbedingt. Also verkündete Zirpel Sonntagabend, gegen Fleckenstein um den Platz 31 kämpfen zu wollen. Die Bayern fühlten sich bei der Listenaufstellung gegenüber den Hamburgern benachteiligt, weil mit Öger bereits ein zusätzlicher „Hamburger“ auf die Liste gerückt war.

Aber Öger ist Schröder sein Öger und nicht vom Hamburger Landesverband nominiert. Also ging der Kanzler vor der Kampfabstimmung um Platz 31 höchstselbst ans Mikro und bat, die sorgsam ausbalancierte Vorschlagsliste der Parteiführung nicht durcheinander zu bringen. Buhrufe unter den Delegierten! Einzelne Pfiffe! Schröder schlich irritiert zurück auf seinen Platz. Zirpel blieb bei seinem Vorhaben, trat gegen Fleckenstein an – und gewann.

Herr Zirpel dürfte relativ sicher im nächsten Europaparlament sitzen. Herr Fleckenstein wird dann eh keiner mehr kennen. Und Gerhard Schröder wird sich an die beiden nur noch erinnern, wenn der Bochumer Parteitag schief gegangen sein sollte. Er wird dann wissen, wann alles seinen bösen Anfang nahm.

JENS KÖNIG