Strahlender Abgang der Kommission

ExpertInnen fühlen sich bei der Aufklärung der hohen Leukämierate rund um den Atomreaktor Krümmel behindert

HAMBURG taz ■ Es ist kein leiser Abgang: Nach zwölfjähriger Tätigkeit gab die so genannte schleswig-holsteinische Leukämiekommission gestern ihre faktische Auflösung bekannt. Sechs der acht Mitglieder traten zurück. Sie protestieren gegen „die Verschleierungspolitik“ der Kieler Landesregierung im Ursachenstreit um die Häufung von Blutkrebserkrankungen in der Umgebung des Atomkraftwerks Krümmel aus dem Gremium zurück. Kommissionschef Otmar Wassermann und fünf seiner MitstreiterInnen warfen der schleswig-holsteinischen Landesregierung „aberwitzige Widerlegungsversuche“ von Erkenntnissen vor, die den Atommeiler in den Verdacht bringen, für die Häufung von Blutkrebserkrankungen in der Elbmarsch verantwortlich zu sein.

Nach Auffassung der Experten kommt das Kraftwerk „nach wie vor als Mitverursacher der Leukämieerkrankungen in Frage“. Die jetzt zurückgetretenen WissenschaftlerInnen gehen dabei von einer „unfallartigen Freisetzung von Radioaktivität“ im Jahr 1986 aus. Daneben muss es nach Auffassung der ExpertInnen „geheim gehaltene kerntechnische Sonderexperimente“ in der benachbarten Geesthachter Kernforschungsanlage GKSS gegeben haben, die zu einer „leukämierelevanten Umgebungskontamination“ der Elbmarsch-Region geführt hätten. Besonders bei in der Nähe der beiden Anlagen lebenden Kindern hatte die Häufigkeit von Blutkrebs messbar zugenommen.

Die schleswig-holsteinische Landesregierung wies die Anschuldigungen der Kommissionsmehrheit vehement zurück. Der Sprecher des Umweltministeriums, Michael Rittmeier, klassifizierte die Behauptungen der sechs WissenschaftlerInnen gegenüber der taz als „Verschwörungstheorien“. Die Landesregierung habe seit Anfang der Neunzigerjahre mit Hilfe der Kommission und zahlreicher unabhängiger Gutachter „eine sehr intensive Ursachenforschung“ betrieben. Dabei sei aber „kein eindeutiger Beleg“ für den Zusammenhang zwischen den Leukämieerkrankungen und dem Betrieb des Atommeilers und der GKSS gefunden worden. Trotzdem habe das Ministerium erst im Juni die Ausweitung der Leukämiestudie beschlossen, um weitere Erkenntnisse zu gewinnen.

Randy Lehmann, die Sprecherin des für die Atomaufsicht zuständigen Kieler Sozialministeriums, bewertete die Erklärung der zurückgetretenen Kommissionsmitglieder als „heiße Luft“. Ein von der Hamburger Gesundheitsbehörde vor wenigen Monaten veröffentlichtes Gutachten und auch eine im vergangenen Jahr erschienene Expertise des Bremer Instituts für Präventionsforschung und Sozialmedizin hätten Krümmel als Leukämieverursacher ausgeschlossen.

Die Leukämiekommission war seit ihrer Einsetzung vor 12 Jahren gespalten – ihre Mehrheit hatte stets an der These festgehalten, der Krümmler Reaktor sei für die aufgetretenen Blutkrebsfälle hauptverantwortlich. Ministeriumssprecher Rittmeier: „Wir schließen das weiterhin nicht aus, auch wenn die zahllosen Studien der vergangenen Jahre keine fixierbare Ursache ergeben haben.“ MARCO CARINI