Wendländisches Tagebuch (2), Dienstag, 2. November 2004
: Filmteams mit lebenden Stativen

Familie Zitterbart aus Gedelitz wohnt drei Kilometer vom Zwischenlager Gorleben entfernt. Der Atommüll-Zug, der nächste Woche eintreffen soll, bringt auch ihren Alltag durcheinander. Ein Tagebuch, heute von Uwe Zitterbart, 44, Möbeldesigner

Heute früh haben Leute hier im Dorf ein Schild aufgestellt. Es sind einige Kinder draufgemalt, darunter steht: „Wir sind die Erben eurer blöden Atompolitik.“ Das dauerte keine zwei Minuten, da war die Polizei da. Die fotografieren das, steigen ein und sind wieder weg. Und man muss sich natürlich mal die Frage stellen: Was ist an so’nem Schild staatszerrüttend?

Freunde aus anderen Dörfern haben die gleichen Erfahrungen: dass die Polizei überall ist, man sie aber nicht mehr so sieht, wie man das in den letzten Jahren getan hat. In Langendorf zum Beispiel, die haben ’ne eigene Castor-Gruppe, da wurden Fahnen genäht: schwarze Fahnen, mit ’nem Radioaktivitätszeichen drauf. Da konnte man sich ’ne Stunde lang raus auf die Straße stellen, und da ist nicht ein einziges Polizeiauto vorbeigefahren, so im Sinne von grün-weiß mit „Polizei“ drauf. Aber sobald der Erste den Spaten rausgeholt hat, um einen Fahnenmast aufzustellen, im Garten, da waren die sofort da. Das dauerte auch keine zwei Minuten. Und jedes einzelne Haus, wo so’ne Fahne steht, wurde fotogafiert. Gegen die Fahnen können die ja nun nichts machen, die stehen ja auf Privatgrundstücken. Aber diese Beobachtung, unter der man ständig steht, die wühlt einen auf. Auf der einen Seite gewöhnt man sich fast dran, auf der anderen Seite will man sich nicht dran gewöhnen. Weil’s ein Zustand ist, an den man sich nicht gewöhnen sollte.

Oder letzte Woche bei der Greenpeace-Aktion am Zwischenlager: Jeder, der da hin kam, wurde von ’nem Kamerateam der Polizei gefilmt. Das waren immer zwei Leute, einer, der die Kamera hält, und ein anderer, der denjenigen stützt, das sind so lebende Stative, damit die Bilder nicht so verwackelt werden… Da wurde gleich ein Kommentar mit draufgesprochen: „Person in blauer Jacke, aus Richtung XY kommend.“ Was soll das? Ich habe denen gesagt: „Ich finde das ’ne Unverschämtheit, ich möchte nicht, dass Sie mich hier filmen.“ Dann drehen die sich um und gehen weg. Da kriegt man keine Antwort drauf. Protokoll: sim