Alles ist machbar

Produktionsbedingungen verändern die Ästhetik: Das bitfilm-Festival feiert die Freuden der Animation. Im digitalen Kino vermischen sich die Genres, und die Ordnung der Dinge löst sich auf

von Daniel Wiese

Eine Büroetage über den Dächern von St. Georg, ein fast leerer Raum, in dem einige dieser schicken 70er-Jahre-Plastiksessel stehen. Außerdem steht da ein Mann mit Schirmmütze, Mitte 20, Student der Medienkultur. „Das ist eher für die Leute gedacht, die mit MTV aufgewachsen sind“, sagt Tim Rippmann. „Die älteren Herrschaften müssen halt sehen, wie sie damit klarkommen.“

Gemeint ist die Eröffnungsveranstaltung des bitfilm-Festivals im Mandarin Kasino, bei der um eine loungeartige Sessellandschaft herum vier Leinwände aufgebaut werden sollen, drei an den Wänden und eine an der Decke, „und dann sitzt man so da und relaxt und schaut“. Vielleicht sollte man das jetzt aber gar nicht schreiben, denn man muss dazu auf die Gästeliste, und die ist schon lang.

Das bitfilm-Festival, erstmals in Hamburg unter den Fittichen der großen Filmtage hervorgekrochen, ist das Festival eines digitalen Films, der sich als Kunstform versteht. „3d-animation ist weit mehr als ‚familiy entertainement‘ aus Hollywood“, verkünden die Veranstalter. Das kann man so sagen. The Bikini Bandits Save Christmas, einer der wenigen Langfilme des Festivals, geht damit los, dass man die Hügelkette von Los Angeles sieht, auf der „Fuck Hollywood“ steht. In der Hauptsache geht es um drei knapp bekleidetete Mädchen, die sich den Weg freischießen, um den Weihnachtsmann zu retten, der von einem bösen Konzern gekidnappt worden ist.

The Bikini Bandits ist ein wüstes Amalgam aus Verschwörungstheorie und Voodoo, Comiczitaten und Porno. Technisch, erfährt man im Programmheft, ist er mit dem Macromedia-Flashplayer realisiert, einem Verfahren, dass man vom Surfen im Internet kennt und das macht, dass die aufgerufenen Websites so nett animiert sind. Oder so nervig, je nach Standpunkt.

Es ist vielleicht symptomatisch für das bitfilm-Festival, dass Fragen der Produktionsbedingungen auf einer Ebene mit ästhetischen verhandelt werden. Das Festival ist auch ein Familientreffen für Computer-Nerds. So werden am Samstag und Sonntag im Mandarin Kasino so genannte „Demos“ gezeigt: „Programmiergenies können aus den Prozessoren, Video- und Soundkarten ihrer PCs das Optimum herausholen und aus kleinsten Dateien minutenlange Echtzeit-3D-Animationen zaubern. Diese Demos, so der Name der maximal 5–8 MB kleinen Ergebnisse, präsentiert das bitfilm-Festival erstmals einem breiten Publikum“, erklären die Festivalmacher geduldig, aber wer sich nicht auskennt, hat vermutlich immer noch nichts verstanden.

Ein Schwerpunkt des Festivals ist der französischen Digital-Szene gewidmet, die am Freitag bei einer „nuit numérique“ ihren Auftritt hat. Unter anderem werden „computergenerierte Musikvideos aus französischen Studios“ zu sehen sein, gegen Mitternacht legen französische DJs sowie das Pariser VJ-Kollektiv Bowling Club auf. Das „V“ steht für Video, und das passt ja wieder zum Thema.

Dennoch ist das bitfilm-Festival nicht bloß ein Ereignis für Insider, die sich für den Stand der Computeranimation interessieren. Die Festivalmacher haben bei der Auswahl sehr darauf geachtet, was für Geschichten die Filme erzählen und was für Bilder sie dafür finden. Ein wunderbares Beispiel ist die Hongkong-Produktion McDull, Prince de la Bun. Nur vordergründig handelt sie von einem kleinen Schwein, das in der großen Stadt, vermutlich also Hongkong, den Kindergarten besucht. Mit rasender Geschwindigkeit greifen die Assoziationsketten aus, die Story rutscht durch die Zeit ins Hongkong der 60er, fragt eine Weile mit Saint Exupérys Le Petit Prince nach dem Sinn des Lebens, nur um dann unvermittelt die hochhausgroßen Kampfroboter aus den Captain-Future-Comics zu zitieren, die in diesem Fall Hongkong zerstören.

Es ist eine Welt, in der sich die alte Ordnung der Dinge auflöst. Eine neue Ordnung ist noch nicht in Sicht.

Eröffnung: heute, 21 Uhr; La nuit numérique: Fr, 22 Uhr, Mandarin Kasino; „McDull, Prince de la Bun“: Do, 19 + Sa, 21 Uhr; „Bikini Bandits“: Fr, 21 + Sa, 19 Uhr, 3001; Programm unter www.bitfilm-festival.org