Was für die Nacht aufreißen

Gänsehaut für die Abgebrühten: Die Coverband „The Detroit Cobras“ gab im Maria selbst den abgegriffenstenSongs ihre Schönheit zurück. Musik aus schrumpfenden Städten, von Flohmärkten und aus Secondhand-Läden

Mit Musik aus schrumpfenden Städten war Berlin dieses Jahr reichlich gesegnet. Manchester, Sheffield, St. Petersburg und Detroit feierten sich beim „Shrinking Cities Music Festival“ als Horte der urbanen Coolness: meist elektronisch, manchmal etwas kühl. Erst seit dem Auftritt der „Detroit Cobras“ wissen wir, wie heiß und kopflos es in schrumpfenden Städten auch zugehen kann.

Eine kleine Frau mit Jeans und Cowboystiefeln entert die Bühne des Maria und fegt sämtliche Erinnerungen an Drum-Maschinen und Effektgeräte hinfort. All dem schicken theoretischen Überbau, der das besagte Musikprogramm begleitete, schickt sie gleich hinterher: „This ain’t no hipster shit“. Rachel Nagy brüllt es und nimmt einen Schluck aus der Bierflasche. „Ihr sollt euch besaufen, tanzen und was für die Nacht aufreißen!“, schallt das Gebot des Abends von der Bühne, und die Detroit Cobras nehmen es beim Wort.

Rhythm and Blues direkt aus den Sechzigern, zusammengebaut in einer Vorstadtgarage, deren Wellblechdach ganz sicher von der Sonne glüht. Die kleine Gitarristin haut mit aller Macht in die Saiten ihrer klassischen Gitarre, die Bassisten schwitzen Bäche, dem Drummer schmilzt der Schnurrbart. Und Frontfrau Rachel Nagy zuppelt an ihrem Haar, raucht eine Zigarette nach der anderen und lullt den Saal genussvoll mit ihrer warmen Stimme ein.

Mal glaubt man, einen Song von Blondie zu erahnen, mal einen uralten Jazz-Standard auf Gitarre. Seltsam bekannt scheinen die Lieder, die auch das neue Album „Baby“ der fünf Detroiter füllen. Die Detroit Cobras sind eine reine Coverband, ihr Material finden sie auf Flohmärkten und in Second Hand Plattenläden. B-Seiten verblichener Motown-Formationen und abseitige Garagenproduktionen liefern die Basis für ihren abgehangenen Sound.

Zu Hause, auf dem Plattenspieler aufgelegt, hört sich das einfach nur ganz nett an, doch eigentlich lebt die Band vom Charme der unglaublichen Rachel Nagy, den man erst live so richtig erleben kann: Umrahmt von einem blonden Fransenhaarschopf und gesegnet mit Lippen, auf die Debbie Harry neidisch wäre, hält sie einfach dem Publikum ihr Gesicht hin und kreist so langsam mit den fülligen Hüften, dass sogar Chubby Checkers „Twist Again“ wieder zum Erlebnis werden kann.

Elegant ist sie nicht, die kleine Frau aus Detroit, sie popelt Krümel aus den Augen und versucht, den Bierbauch zurück in die enge Hose zu zwängen. Aber dann schließt sie die Augen und singt so sehnsuchtsvoll „oh my baby“, dass noch der abgebrühteste Rocker in der letzten Reihe eine Gänsehaut kriegt.

Immer mehr ähnelt das Maria einem einzigen großen Tanzboden, auf dem Schulmädchen, Punks und tätowierte Alte glückselig gemeinsam hüpfen. An der Bar sitzt ein hagerer Mann mit ausdrucksstarker Frisur und grinst. Es wäre nicht weiter verwunderlich, wenn es wirklich Iggy Pop wäre: Er und seine Stooges haben schließlich den Teil von Detroit mitbegründet, den die Detroit Cobras so hingebungsvoll feiern: Detroit Rock City. Ganz ohne Elektronik, dafür aber mit viel Schlangengift.

NINA APIN