knack! oder: endlich wieder beim zahnarzt von JOACHIM SCHULZ
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Seit langem weiß ich, dass Frauen im Ertragen von Gebresten weit besser sind als Männer. Habe ich einen Schnupfen, pflege ich erbarmungswürdig röchelnd im Bett zu liegen und alle zwanzig Minuten Fieber zu messen, um den ungefähren Abfahrtstermin meiner Jordanfähre zu bestimmen. Die Liebste hingegen hilft trotz verkleisterter Nebenhöhlen ihrer besten Freundin fröhlich pfeifend beim Umzug, und genauso verhält sich die Sache im Fall von Rückenschmerzen, Nasenbluten oder eines verstauchten Großen Onkels.

Eine Ausnahme gibt es aber doch, und das sind die Maladien des Kauapparats. Anders als ich, der ich trotz hingebungsvoller Dentalhygiene alle naselang Kummer mit meinen Beißwerkzeugen habe und deshalb längst genauso gleichmütig zu meinem Zahndoktor pilgere, wie ich morgens die Post aus dem Briefkasten hole, erfreut sich die Liebste einer beneidenswerten Gebissgesundheit. Sie besitzt nur eine einzige Füllung, kann sich an ihren letzten Zahnarztbesuch kaum noch erinnern und blickt mich daher – als wir an einem arbeitsfreien Montag beim Frühstück sitzen – jählings aus schreckgeweiteten Augen an. „O, Gott!“, haucht sie: „Es hat ‚Knack!‘ gemacht!“ Der Klang ihrer Stimme erinnert stark an das angstvolle Wispern, das ich von mir gebe, wenn ich – von einem Schnupfen niedergeworfen – Gevatter Hein anflehe, mich noch einmal zu verschonen.

„Kuck mal nach! Bitte!“, schnauft sie. Ich schaue in ihren Schlund. „O ja“, sage ich, „deine Füllung ist rausgebrochen.“ – „Was?!“, ruft sie entsetzt: „Das ist ja fürchterlich!“ „Es ist doch nur die Füllung“, sage ich, denn schließlich bin ich es gewohnt, einen ganzen Zahn auszuspucken, wenn es in meinem Mund „Knack!“ gemacht hat. Die Liebste aber beruhigt das nicht. „Was tust du?“, kreischt sie, als ich zum Telefon greife. „Meinen Zahnarzt anrufen; du hast ja keinen“, sage ich, und daraufhin ruft sie: „Jetzt? Aber nein! Das hat doch Zeit bis nächsten Monat! Oder bis Weihnachten! Oder bis ich in Rente gehe!“

Zwei Stunden später sitzen wir im Wartezimmer. Im Raum nebenan singt der Bohrer sein verheißungsvolles Lied. „Mir ist schlecht!“, japst die Liebste, und ich erinnere sie daran, dass sie sich im letzten Urlaub eine Platzwunde auf der Stirn vor dem Spiegel ohne Betäubung selber nähte, weil sie keine Lust hatte, zum Arzt statt an den Strand zu gehen. „Das war doch etwas ganz anderes!“, winkt sie ab, doch schon schwebt die Sprechstundenhilfe herein und schiebt sie mit sanftem Druck ins Behandlungszimmer.

Kaum fünfzehn Minuten später kommt die Liebste wieder heraus. Sie strahlt wie die Sonne über dem Golf von Neapel, singt: „Hat gar nicht wehgetan!“, und hüpft in Richtung Ausgang. Hinter ihr erscheint mein Zahnarzt und schmunzelt. „Und wann“, fragt er mich, „sehen wir uns?“ „In zwei Wochen“, sage ich: „Sie wollen drei Backenzähne abschleifen und für Kronen vorbereiten.“ – „Richtig“, sagt er: „Machen Sie sich keine Sorgen. In zwei bis drei Stunden ist die Sache erledigt. Sie kennen das ja.“ „Natürlich“, sage ich und versuche zu lächeln, ehe ich der Liebsten hinterhereile, damit sie – vom Jubel beseelt – nicht in der Stadt verloren geht.