BETTINA GAUS über FERNSEHEN
: Der Plenarsaal den Promis!

Warum wird die Idee eines Fernsehmoderators als Beleidigung empfunden? Weil sie eine Beleidigung ist

Etwa die Hälfte der Bevölkerung findet es einer aktuellen Spiegel-Umfrage zufolge keine gute Idee, wenn Prominente ohne Mandat im Bundestag reden dürfen. Was stört die Leute bloß? Die Idee wäre doch ausbaufähig. In sitzungsfreien Wochen wird der Plenarsaal eh nicht gebraucht. Man sollte ihn mieten können. Schließlich hing auch an der berühmten Berliner Gedächtniskirche schon mal Reklame, und das Brandenburger Tor wurde während der Umbauphase zeitweise mit großflächiger Werbung der Bild-Zeitung verhüllt. Wenn man sich erst mal daran gewöhnt hatte, war der Anblick fast so schön wie Christos verpackter Reichstag. Na ja, fast. Aber immerhin.

Was könnte der Bundestag mit dem eingenommenen Geld alles anstellen! Vielleicht dürften die Abgeordneten künftig zu einem Anlass wie dem 40. Jahrestag des Elysée-Vertrages nach Paris reisen, ohne dass die Boulevardmedien daraus eine Sause auf Kosten der Steuerzahler machen. Möglicherweise wäre sogar ein Glas Sekt zum 60. Geburtstag des Parlamentspräsidenten drin. Ach, was bieten die Gesetze des freien Marktes für Möglichkeiten – und wie wenig werden sie noch immer genutzt. Sagen wir den Vorrechten der Politiker endlich den Kampf an! Friede den Palästen! Der Plenarsaal den Promis! Die Zeit der Revolutionen ist noch längst nicht vorbei.

Die Privilegierten leisten natürlich Widerstand, wie nicht anders zu erwarten. Nicht einmal FDP-Abgeordnete wollen den Vorschlag aufgreifen, Fernsehstars im Bundestag reden zu lassen. Es sei denn, sie bemühten sich zuvor erfolgreich um ein Mandat. Dieser Standpunkt könnte von Selbstbewusstsein zeugen. Tut er aber nicht. Parlamentarier aller Parteien, die sich zu dem Thema äußerten, wirkten seltsam sauertöpfisch und gekränkt. Warum? Weil sie den Vorstoß eines etwas überständigen TV-Moderators so verstanden hatten, wie er gemeint war: als Beleidigung, die sich an ihre Adresse richtete.

Bringt mehr Leben in die Bude, lasst Politik nicht so grau und öde sein, alles würde besser, wenn endlich die wahren Publikumslieblinge – vom Musikproduzenten bis zum Werbestar – das Parlament aufmischen dürften und sich dort nicht mehr diese grauen Technokraten die Hintern plattsäßen. Das Parlament als Teil der Spaßgesellschaft macht noch die bitterste Rentenkürzung sexy. Mit wechselnden Protagonisten und Ideen wird diese Botschaft immer mal wieder unters Volk gebracht. Dieses Mal also von einem Fernsehmoderator.

Ob der es auch gewagt hätte, in seiner Wahlheimat USA einen Auftritt im Kongress als Preis für eine verlorene Wette auszuloben? Was immer man von der Politik der Vereinigten Staaten halten mag: Ihre Bürgerinnen und Bürger haben verinnerlicht, dass der Respekt vor demokratischen Institutionen gleichbedeutend ist mit dem Respekt vor der Demokratie. Also mit dem Respekt vor dem Willen des Volkes, um eine altmodische Formulierung mit sehr modernem Sinngehalt aufzugreifen. Es kann als sicher gelten, dass die Einladung des Moderators an sich selbst dort als das bezeichnet worden wäre, was sie ist: eine bodenlose Anmaßung.

Aber Empörung über die große Zahl derer, die der politischen Klasse nur noch Verachtung entgegenbringen, hilft ja nicht recht weiter. Wer die Berufsbezeichnung Politiker für ein Schimpfwort hält, wird sich nicht durch Sonntagsreden von dieser Ansicht abbringen lassen. Was lässt sich tun? Vielleicht wäre ja einiges gewonnen, wenn Abgeordnete, Medien und Öffentlichkeit den Vorgang nicht nur für ein buntes Thema hielten, das keiner näheren Aufmerksamkeit wert ist. Er ist viel mehr als das. Wenn jeder und jede Zweite den Sinn der Regel nicht mehr versteht, dass nur gewählte Volksvertreter im Parlament sprechen dürfen, dann ist das ein schrilles Alarmsignal. Nach dessen Ursache ja auch mal selbstkritisch gefragt werden könnte.

Fotohinweis: BETTINA GAUS FERNSEHEN Fragen zu Fernsehen?kolumne@taz.de Morgen: Kirsten Fuchs über KLEIDER