Klassenfahrt zum Mond

Abiturienten wollen nicht mehr Lehrer werden. Doch der Bedarf wird in den nächsten Jahren steigen. Die Kultusminister wollen das Problem mit einer Imagekampagne lösen. Wie gesagt: Sie wollen

Bildung hilft. Leider braucht die Bildung selbst Hilfe, da der Lehrernachwuchs fehlt

von SUSANNE LANG

Hilfe! Das ist es, was der Nachwuchs in Deutschland braucht. Die kleine Nelli zum Beispiel. Die braucht ganz dringend jemanden, der ihr hilft. Seit gestern klebt sie bundesweit auf Plakatwänden, mit ihren blonden Löckchen und einem leeren Goldfischaquarium auf dem Kopf, die Arme ausgebreitet, allzeit bereit zum Abheben. Wohin, das erzählt die Schrift über Nellis Kopf: Sie „will mal so hoch hinaus wie Armstrong“, der große Mond-Astronaut. Wie sie das schaffen soll, erzählt die kleine Schrift darunter: mit Bildung. Und jemandem, der ihr diese vermittelt. Denn Bildung hilft. Sie ist gut für jeden, also auch für Deutschland.

Leider braucht die Bildung gerade selbst Hilfe, da die Menschen, die sie vermitteln sollen, fehlen. Immer weniger AbiturientInnen entscheiden sich für den Lehrerberuf. Immer weniger LehramtsstudentInnen beenden ihre Ausbildung. Kaum ein Absolvent oder eine Absolventin scheitert nicht am Einstellungsstopp vieler Bundesländer. Dafür werden in den nächsten Jahren immer mehr ältere Lehrer in den Ruhestand gehen. Die Kultusminister der Länder haben daher ein Problem. Und wie so oft, wenn eine politische Lösung benötigt wird, hat auch die Konferenz der Kultusminister (KMK) nun eine Aktionskampagne gestartet.

„Bildung – unser Ticket in die Zukunft“, so heißt sie. 250.000 Euro kostet sie. 371.000 freie Lehrerstellen bis zum Jahr 2015 verkauft sie, 75.000 davon soll sie mit Neuanfängern besetzen. Die Öffentlichkeit für das Thema Bildung sensibilisieren und das schlechte Image der „Faulsäcke“ Lehrer aufbessern, das will sie. So wünscht sich das zumindest Karin Wolff, hessische Kultusministerin und Präsidentin der KMK. Wirken soll die Kampagne ungefähr so: Ein Abiturient oder eine Abiturientin sieht die kleine Nelli auf dem Plakat und sagt sich, dass man ihr als Lehrer helfen kann und dass das eine ganz ehrenwerte Aufgabe ist.

Schön, wenn die so genannte „Recruting-Kampagne“ diese Wirkung erzielt. Noch schöner wäre es, wenn die Plakate davon erzählen würden, dass sich nicht nur die Studienbedingungen verschlechtert haben, sondern auch die Arbeitsbedingungen von Lehrern an den Schulen. Die kleine Nelli sieht zumindest nicht so aus, als wäre sie aufgrund ihres sozialen Umfelds, ihres Migrationshintergrunds oder daraus resultierenden mangelnden Sprachkenntnissen benachteiligt und besonders förderungsbedürftig. Schöner, wenn die Plakate davon erzählen würden, dass viele potenzielle Lehrer sich von den hohen Anforderungen abschrecken lassen, wie sie viele an einen idealen Lehrer stellen: Sozialarbeiter, Psychologe, Pädagoge und Reparateur für alle gesellschaftlichen Missstände in einem.

Am allerbesten aber hätte jemand der KMK ihre ganz eigene Glasglocke schon vor zwei Jahren abgenommen, als sie sehr wohl von einem bevorstehenden Lehrermangel wusste, jedoch nicht reagierte. Nun also müssen die Plakate helfen. Bis Februar 2004 werden Nelli und vier weitere Motivkinder kleben und warten, dass jemand hilft. Der Kampagne selbst wird jetzt schon mal geholfen: von zwei prominenten Menschen, die im Fernsehen schon ihr Bestes geben, um die „komplizierte Welt“ der Nachrichten zu vermitteln. „Tagesschau“-Sprecherin Eva Herman und „Tagesthemen“-Moderator Uli Wickert eröffnen in zwei Spots, wie toll und anerkennenswert der Lehrerberuf ist. Hilfe!