Hühnerpech

Das SCHLAGLOCH von KERSTIN DECKER

Aber kennen wir sie nicht schon, die Ironie der Revolutionäre? Waren die Bolschewiki etwa witzig?

Ob Roland Koch lieber ein Zirkuselefant oder ein Elefant in freier Wildbahn sein möchte? Aber er hat keine Wahl. Er muss „Dschungel!“ rufen. Schon wegen der Glaubwürdigkeit. Schließlich hat die hessische Tierschützerinitiative mit Koch an der Spitze den Bundesrat angestiftet, Elefanten im Zirkus zu verbieten. Und Affen. Und Bären. Wahrscheinlich war das dem Bundesrat zu kompliziert, weshalb er gleich ein Elefanten-Löwen-Tiger-Bären-Affen-Seelöwen-Zebra-Verbot beschloss. „Wilde Tiere“ im Zirkus überhaupt. Und darum muss Roland Koch nun ein Dschungelefant werden.

Das wird hart. Schon richtig, Dschungel ist auch nur freier Wettbewerb. Jeder hat eine faire Chance. Der Dschungel ist ein Spezialfall des Neoliberalismus. Und da wollen wir doch hin. Aber in Kochs Alter, wirklich? Mit über vierzig ist Dschungel glatter Selbstmord, genau wie die Marktwirtschaft. Da haben die Elefanten schon große Löcher in den Fußsohlen von all dem, was man sich im Regenwald so eintreten kann. Nun gut, Koch kennt das. In der Politik kann man sich auch viel eintreten. Und um ein Haar hätte sich Koch sogar Hohmann zu tief eingetreten. Das ist der, der gerade die Große Sozialistische Oktoberrevolution nicht gut fand und die, die mitgemacht haben. Besonders die Juden. Aber Fußprobleme bei Elefanten sind noch nicht alles. Außerdem fallen ihnen mit über vierzig die hinteren Zahnplatten raus. Dann können sie nicht nur nicht mehr gut laufen, sondern auch nicht gut fressen. Wenn uns irgendwann die Zahnplatten rausfallen, werden wir künftig auch nicht mehr so gut fressen können – Gesundheitsreform. Und irgendwann bleiben der Dschungelelefant über vierzig vor lauter Schwäche einfach liegen. Und alle, die zu feige waren, ihn zu belästigen, machen ihn nun alle. Oder vorher war schon der Oberfeigling da, hat seine Stoßzähne mitgenommen und ihn einfach liegen lassen. Welcher Elefant stirbt schon noch seinen eigenen Tod? Das traurige Ende Roland Kochs im Dschungel. Nun ist es schwer, heute etwas gegen den Dschungel zu sagen. Können wir es wirklich verantworten, bei der allgemeinen Rückkehr zur Dschungelhaftigkeit des Daseins ausgerechnet die echten Dschungelbewohner auszunehmen? Warum soll es den Elefanten besser gehen als uns? Jeder muss Opfer bringen. Es ist ungerecht, dass Elefanten im Zirkus mit über vierzig ihr Gebiss oft immer noch haben und im Dschungel eben nicht. Dass sie überhaupt im Zirkus und im Zoo länger leben (und im Zoo nicht länger als im Zirkus) als im Wald. Ist uns klar, was das ist? Eine soziale Elefantenhängematte ist das. Und die hängt der Bundesrat ab.

Oder es war doch etwas anderes bei Koch. Neid. Denn als Elefanten-Mann hätte Koch im Zirkus keine Chance. Die meisten nehmen keine Bullen. Weil sie so irrational sind. Nicht mal bei den Dschungelelefanten hätte Koch Politiker werden können. Einmal jährlich dreht so ein Elefantenbulle für etwa zwei Wochen durch und macht Kleinholz aus dem ganzen Dschungel und allem, was nicht schnell genug weglaufen kann. Dann schickt die Angela Merkel der Elefantenherde ihn in Klausur, genau wie Koch das kennt – und wenn der Bulle sich beruhigt hat, darf er wiederkommen. Denn bei den Elefanten ist das wie in der CDU: Sie haben eine Leitkuh.

Aber vielleicht tun wir Koch Unrecht, und er ist gar kein Macho, sondern hat sich mit den Elefantinnen im Zirkus solidarisiert. Im Circus Krone kommt immerzu jemand und prüft, ob die Elefantinnen auch regelmäßig ihre Tage haben. Was für ein Eingriff in die elefantöse Intimsphäre. Kein Dschungelelefant muss sich das gefallen lassen. Und als Mann scheint einem diese Zumutung gewiss besonders unerhört. Auch wenn es nur darum geht, rechtzeitig depressive Verstimmungen bei Elefantenfrauen zu erkennen.

Aber das ist nun vorbei. Auch die Elefantinnen lernen wieder das Grundgesetz der Freiheit: Jede ist für ihre Depressionen selbst verantwortlich. Beschlossen wurde auch gerade, dass die Legehennen in ihren Batterien länger ausharren müssen als geplant. Manche finden das irritierend. Mag sein, die Lobby der Legehennenbatteriebesitzer ist viel mächtiger als die der Zirkusse. Die hat nämlich gar keine. Hühnerpech. Wahrscheinlich steckt aber eine höhere Regierungsweisheit dahinter. Die Legebatterienhühner können nun bald in den frei werdenden Manegen wohnen. Hühner im Zirkus sind noch nicht verboten. Nun gibt es Mitmenschen, die vermuten noch einen ganz anderen Grund für das Elefantenverbot. Tierschutz! – Aber haben nicht auch die Zirkusse gerufen: Kontrolliert uns! Reglementiert uns! In Ermangelung von Vorschriftenmachern hat der Verband der Tierlehrer schon vor Jahren selbst damit angefangen, sich Vorschriften zu machen. Wo findet man so etwas sonst noch? Er hat sich Richtlinien gegeben, gegen die das deutsche Tierschutzgesetz wie eine Gefängnisordnung wirkt.

Aber es nützt nichts. Die Realisten haben das schon lange geahnt. Ihr könnt jedem Seelöwen ein Hallenbad, jedem Kamel ein Sonnenstudio bauen und jedem Bären eine eigene Imkerei hinstellen, haben sie den Zirkusleuten gesagt. Es wird vergeblich sein. Denn die Tierrechtler sind unerbittlich. Die Tierrechtler muss man sich ungefähr so vorstellen wie die Bolschewiki, derentwegen Hohmann gerade aus seiner Fraktion ausgeschlossen wurde. Weil er Trotzki und seine Genossen „Täter“ genannt hat. Aber Herr Hohmann! Gegen die Tierrechtler waren die Bolschewiki gewissermaßen eine Partei der gemäßigten Mitte. Die Bolschewiki verstanden sich als Vorhut der Arbeiterklasse; die Vorhut der Tiere sind die Tierrechtler. Jede Vorhut ist militant. Und es ist gemein, das bloß Lenins Genossen vorzuwerfen.

Welcher Elefant stirbt schon noch seinen eigenen Tod? Das traurige Ende Roland Kochs im Dschungel

Die Bolschewiki glaubten, die Wurzel allen Übels sind die Ausbeuter, weshalb die Ausbeuter abgeschafft werden sollten. Aber genügt das? Niemals, sagen die Tierrechtler, die legitimen Nachfolger der Bolschewiki, und korrigieren wie folgt: Wurzel allen Übels ist der Mensch, weshalb er abgeschafft werden sollte. Ohne Menschen wäre die Erde ein besserer Ort für Tiere, erklärte kürzlich Harald Ullmann von der größten und erfolgreichsten Tierschutzorganisation, Peta. Darum sei er auch so glücklich, dass in Deutschland immer weniger Kinder geboren würden, assistiert der Vizechef der Peta. Den Mörder von Versace halte er für eine wichtige Person der Gegenwart. Weil er ihn gestoppt habe, Pelzmäntel zu produzieren. Natürlich sei das ein Witz. Aber kennen wir sie nicht schon, die Ironie der Revolutionäre? Waren die Bolschewiki etwa witzig? Und der Brief an Arafat war todernst gemeint. Die Peta protestierte bei Arafat, weil ein Esel bei einem Bombenanschlag ums Leben kam. Das, fand Peta, ginge nun aber entschieden zu weit. Mal sehen, wie der Bundesrat entscheidet, wenn die Tierrechtler demnächst fordern, Blindenhunde zu verbieten. Denn Blindenhunde finden sie nun völlig daneben. Der Mensch ist blind, selbst wenn er sehen kann. Und dafür sollen Tiere leiden?

Ist zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik eine Extremistenlogik bis in den Bundesrat vorgedrungen, und niemand hat es bemerkt?