Schneeberg steht vor der Vereisung

In der Stadt Schneeberg geht ohne Bundeswehr so gut wie gar nichts. Jetzt wird die Kaserne geschlossen, Arbeitsplätze werden wegfallen. Im strukturschwachen Erzgebirge zeigen sich die Folgen einer Abhängigkeit vom Militär besonders deutlich

DRESDEN taz ■ Bürgermeister Frieder Stimpel im erzgebirgischen Schneeberg wirkt fassungslos. Düstere Zahlen hält er der gestern endgültig verkündeten Schließungsabsicht für den erst 1990 mit 65 Millionen Mark modernisierten Bundeswehrstandort entgegen. „Rund 15 Millionen Euro Kaufkraft würden in der Region wegbrechen.“ Etwa 100 Betriebe, vor allem Händler und Kleingewerbetreibende, seien von der Aufgabe mittelbar betroffen.

Die Stadt mit 17.000 Einwohnern hängt fast vollständig vom Gebirgsjägerbataillon ab. Viele der 1.400 Dienstposten sind Längerdienende aus der Region, haben Familie oder gar ein Häuschen hier. 30 Millionen Euro beträgt die Wertschöpfung durch die Bundeswehr in der Schneeberger Region, hat der Dresdner Wirtschaftswissenschaftler und künftige Chef des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, Professor Ulrich Blum, errechnet. Um den Verlust zu kompensieren, müssten etwa 150 Millionen Euro investiert und 900 Dauerarbeitsplätze geschaffen werden.

Sachsens König hatte 1877 schon einmal eine Garnison nach Chemnitz verlegt. Zu DDR-Zeiten war dann eine Unteroffiziersschule in den grauen Fünfgeschossern untergebracht. Im Jahr 2001 stand der Schneeberger Standort erneut auf der Kippe. Nach dem Ende des mittelalterlichen Silberbergbaus, dem Ende des Wismut-Uranbergbaus mit der Wende steht Schneeberg nun vor einer dritten wirtschaftlichen Katastrophe. Die typischen Strukturprobleme einer schwachen ostdeutschen Region kulminieren. Bürgermeister Stimpel befürchtet vor allem eine beschleunigte Abwanderung junger Leute.

Die Schneeberger können die Entscheidung allein schon wegen der bis zuletzt getätigten Investitionen in den Standort nicht verstehen. Mehr als 2.000 von ihnen demonstrierten noch am Vorabend gegen die drohende Schließung. Viele der Schneeberger Soldaten dienen in Afghanistan, und Krach bei Rekrutengelöbnissen kennt das friedliche Erzgebirge nicht.

Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) hatte trotz der anstrengenden Koalitionsverhandlungen in der vergangenen Woche noch einmal alle gefährdeten sächsischen Standorte bereist. Argumente wollte er für das Gespräch mit Bundesverteidigungsminister Struck (SPD) sammeln und auf rationale, nachvollziehbare Entscheidungskriterien drängen. Vergeblich. Schon vor drei Jahren hatten allerdings PDS und Grüne in Sachsen davor gewarnt, in völlige Abhängigkeit von Bundeswehrstandorten zu geraten. Zivile Alternativen unter Einbeziehung der vorhandenen Bauten und Flächen müssten geplant werden. Auch jetzt forderte PDS-Landtagsfraktionschef Peter Porsch die Überführung der Schneeberger Immobilien in eine Bundesstiftung, mit der ein Technologiepark befördert werden könnte.

MICHAEL BARTSCH