Viel Lärm um Standorte

Die Bundeswehr zieht ab, die Kommune heult auf: Ökonomische Folgen stehen im Vordergrund der Bundeswehrreform

Eine im Grundsatz falsche Weichenstellung, sagt die Union. Dabei hat siediese selbst eingeleitet

AUS BERLIN BETTINA GAUS

Der Teufel steckt im Detail: Dieser allgemeine Grundsatz hat sich gestern im Zusammenhang mit der beabsichtigten Schließung von 105 Standorten der Bundeswehr ein weiteres Mal bestätigt. Die große Linie war schließlich bereits bekannt. Seit Monaten stand fest, dass vor allem das Heer von den geplanten Einschnitten betroffen sein wird, Luftwaffe und Marine hingegen weitgehend verschont bleiben, wenn die Gesamtstärke der Streitkräfte bis 2010 auf insgesamt 250.000 aktive Soldaten sinkt. Derzeit ist die Struktur auf 285.000 Soldaten ausgelegt. Was aber bedeutet die Entwicklung konkret für einzelne Bundesländer und Städte? Das war die Frage, deren Beantwortung vor allem von Bürgermeistern und Ministerpräsidenten mit Spannung erwartet worden war.

Verteidigungsminister Peter Struck sagte zu Beginn seiner Pressekonferenz das Erwartbare. Er wisse, dass die Schließung von Standorten „für die betroffenen Kommunen und Gemeinden eine Belastung“ sei. Er habe sich „die Entscheidung deshalb nicht leicht gemacht.“ Diese Sätze spiegeln die Diskussion. Die ökonomischen Folgen für die Binnenkonjunktur sind in erheblich stärkerem Maße der Anlass für massive Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen politischen Lagern als sicherheitspolitische Aspekte.

Weitgehend unumstritten ist nämlich zwischen allen Bundestagsfraktionen, dass der Umbau der Streitkräfte von einer personalintensiven, territorialen Verteidigungsarmee in eine möglichst schlagkräftige, hoch spezialisierte Interventionstruppe wünschenswert ist. Schon Strucks Vor-Vorgänger Volker Rühe hatte eine substanzielle Reduktion der Standorte auf den Weg gebracht. Entsprechend hilflos hört sich der Widerspruch an, den die Opposition jetzt anmeldet.

„Die Weichen für Deutschlands Sicherheit werden falsch gestellt“, sagt Christian Schmidt, der verteidigungspolitische Sprecher der Union. Der Heimatschutz werde von Struck „auf eine Statistenrolle“ zusammengestrichen. Konkret moniert der Wehrexperte, dass sich die Einsatzbereitschaft in den „kritischen Bereichen“ ABC-Abwehr und Pionierwesen „erheblich“ verringere und die Reservenbildung aufgegeben werde.

Spätestens bei der Verwendung von Begriffen wie „Reservenbildung“ wird deutlich, dass die Opposition auf das kurze Gedächtnis der Öffentlichkeit vertraut. Denn bereits die schwarz-gelbe Koalition hatte den Wehretat gekürzt und sich zugleich darum bemüht, Auslandseinsätze strukturell zu erleichtern. Künftig soll fast die Hälfte aller Bundeswehrsoldaten für Auslandseinsätze bereitstehen. Bis 2010 muss die Bundeswehr darüber hinaus bis zu 26 Milliarden Euro einsparen, will sie auch nur bereits jetzt eingegangene Verpflichtungen erfüllen und unumgängliche Modernisierungen in Angriff nehmen.

In den meisten Fällen erinnert der Streit um die Schließung von Standorten an Shakespeare: Viel Lärm um nichts. Mehr als die Hälfte der Schließungen betreffen nämlich Standorte mit maximal 100 Dienstposten, viele haben weniger als zehn. Selbst konsumfreudige Soldaten können in dieser Zahl keinen bestimmenden Einfluss auf die Binnenkonjunktur nehmen.

Interessant ist deshalb vor allem der größere Überblick im Ländervergleich. Hier gewinnt die Äußerung von Struck an Glaubwürdigkeit, er habe bei seinen Entscheidungen vor allem militärische Gesichtspunkte im Blick gehabt und weniger ökonomische oder gar politische: Ausgerechnet Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen sind mit dem Abzug von jeweils 8.600 beziehungsweise 8.900 Stellen am stärksten betroffen. Jene beiden Bundesländer also, in denen die nächsten Landtagswahlen stattfinden werden.