„Wer das Netz hat, hat die Macht“

Dass Noch-Bahn-Chef Hartmut Mehdorn auf einer Abfindung bestehen kann, lastet Bahn-Experte Markus Wacket dem Bund an, der erst vor einem Jahr den Vertrag verlängert hatte. Von Nachfolger Rüdiger Grube erwartet er kaum Veränderung

MARKUS WACKET, 43, ist Journalist und Autor des Buches „Mehdorn, die Bahn und die Börse“

INTERVIEW WOLFGANG MULKE

taz: Der scheidende Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn AG, Hartmut Mehdorn, pocht auf die Erfüllung seines Vertrages. Ist diese Forderung angesichts des Imagedebakels etwa wegen der Datenschutzaffäre nicht einfach nur dreist?

Markus Wacket: Das mag auf den ersten Blick so scheinen. Aber sein Vertrag mit diesen Konditionen ist ja vor nicht einmal einem Jahr vom Aufsichtsrat und damit vom Eigentümer Bund erneuert worden. Die Diskussion um Managergehälter lief da schon lange. Es war nur die Rede von Mehdorns Erfolgen. Damals hat sich der Bund sogar mit Blick auf den Börsengang ganz locker über die eigenen Grundsätze der guten Unternehmensführung, der Corporate Governance, hinweggesetzt: Danach dürfen Vorstände der Bahn höchstens 65 Jahre sein, Mehdorn wird bei Auslaufen seines Kontrakts 2011 aber schon 69.

SPD-Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee will eine starke Bahn in Deutschland und Europa. Vom bisher so geförderten Transportgeschäft in Asien oder den USA ist keine Rede mehr. Steht hier tatsächlich ein Sinneswandel in der Politik an?

Das wird sich nach der Bundestagswahl zeigen. Es ist eine Frage wert, ob die Bundesrepublik Deutschland Lagerhäuser in Kalifornien oder Container-Terminals in Hongkong betreiben sollte. Was solche Ausflüge in die weite Welt für den Steuerzahler gerade in schlechten Zeiten bedeuten können, hat sich ja bei den Landesbanken mit ihren milliardenschweren Fehlspekulationen in Übersee gezeigt.

Der neue Bahnchef Rüdiger Grube hat bei seinem ersten öffentlichen Auftritt die Parole „Weiter so“ ausgegeben und nicht durch neue Ideen und strategische Ansätze geglänzt. Zudem ist er mit Mehdorn gut befreundet. Wird er das System Mehdorn weiterführen?

Dass Grube vor 20 Jahren mal Mehdorns Büroleiter war, sollte man ihm nicht anlasten. Wichtiger ist schon die Frage nach dem Aufbau der Bahn, den Grube offensichtlich nicht ändern will: Personen- und Güterverkehr sollen weiter mit dem 34.000-Kilometer-Schienennetz und den Bahnhöfen – dem Herz der Eisenbahn – unter einem Konzerndach bleiben. Aus seiner Sicht mag das richtig sein: Mit dem direkten Zugriff auf das Netz behält er nicht nur die milliardenschweren Hilfen des Bundes, sondern kann auch das Quasi-Monopol der DB auf dieses Netz verteidigen. Kurz: Wer das Netz hat, hat die Macht. Zweifelhaft ist aber, ob das für den Steuerzahler sinnvoll ist. Mehr Konkurrenz macht auch die DB besser und bringt mehr Verkehr auf die Schiene.

Auch weitere Vorstände der Bahn wollen das Handtuch werfen. Droht dem Konzern nun ein Aderlass bei guten Leuten?

Die Häufung von Datenschutzaffären in den Betrieben ruft die Gewerkschaften auf den Plan: Sowohl der Deutsche Gewerkschaftsbund als auch Ver.di fordern gesetzliche Initiativen zum wirksamen Schutz der Arbeitnehmer vor Datenmissbrauch. Dazu gehöre, schnell ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz zu verabschieden. „Es ist notwendig, den Unternehmensvorständen, die offenbar an Allmachtsfantasien leiden, ein Gegengewicht entgegenzusetzen“, so Ver.di-Chef Frank Bsirske. Die Strafen bei Verstößen müssten höher sein als jetzt. „Darüber hinaus muss die Möglichkeit geregelt sein, dass ein Arbeitnehmer Rechtsbrüche im eigenen Unternehmen anzeigen darf, ohne dabei seinen Arbeitsplatz aufs Spiel zu setzen.“ AP

Wegen der engen Verbindung mit Mehdorn werden vermutlich noch einige Vorstände gehen. Ein Neuanfang ist aber auch wichtig, um das Vertrauen der Beschäftigten nach der Datenaffäre wiederzugewinnen. Noch ist sie nicht aufgeklärt, und auch Grube als neuer Bahnchef kann kaum riskieren, dass später weitere Verstrickungen von Vorständen bekannt werden. Irgendwann fällt das auf ihn zurück.

Bislang wuchsen Umsatz und Gewinn beständig. Nun reißt die Wirtschaftskrise die Logistik und den Güterverkehr mit nach unten. Wie kann dieser Entwicklung entgegengesteuert werden?

Kurzfristig kann man bei der Güterbahn wohl nur Waggons aufs Abstellgleis stellen und Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken. Der Güterverkehr hängt eben extrem eng mit der allgemeinen Konjunktur zusammen. Relativ stabil ist der Personenverkehr, vor allem die Regionalzüge, die im Wesentlichen über Steuergelder finanziert werden. Die Frage aber, die nach der Wahl beantwortet werden muss, ist, ob weltweite Logistik die Aufgabe eines Staatsunternehmens sein muss. Und ob wir Steuerzahler dafür haften wollen.