Das Geheimnis wird bald gelüftet

Ein Professor will Aktiengewinne nicht versteuern, weil nur die „Dummen“ zahlen. Das Bundesverfassungsgericht hat gestern verhandelt. Um alle Kapitaleinkünfte besteuern zu können, hofft die Bundesregierung, dass das Bankgeheimnis kippt

aus Karlsruhe CHRISTIAN RATH

Bei der Besteuerung von Aktiengewinnen muss sich etwas tun. Dies zeigte sich gestern vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Richter werden es wohl kaum hinnehmen, dass nur die Ehrlichen ihre Abgaben entrichten. Möglicherweise fällt am Ende sogar das Bankgeheimnis.

Ausgelöst hatte das Verfahren der Kölner Steuerrechtler Klaus Tipke. Im Jahr 1997 hatte er rund 800 Euro bei Aktienspekulationen verdient, doch er wollte hierfür keine Steuern zahlen. Begründung: „Entweder es zahlen alle oder keiner“. Nach seinem Eindruck zahlen derzeit nur die „Dummen“, und das hält er für verfassungswidrig.

Aktiengewinne unterliegen der Einkommenssteuer, wenn zwischen Ankauf und Verkauf weniger als ein Jahr liegt. Nach Tipkes Ansicht wird diese Steuerpflicht aber nicht wirksam durchgesetzt. „Wer seine Gewinne verschweigt, hat nichts zu befürchten“, so der emeritierte Professor, „und die Finanzämter können wegen des Bankgeheimnisses nicht wirksam kontrollieren.“ Der Bundesfinanzhof (BFH) folgte im letzten Sommer Tipkes Ansicht und legte den Fall in Karlsruhe vor. Wenn ein „strukturelles Vollzugsdefizit“ bestehe, könne eine Steuer nicht mehr erhoben werden. Der BFH berief sich dabei auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1991. Damals hatte Karlsruhe die nachlässige Besteuerung von Zinseinkünften gerügt.

Für die Bundesregierung trat gestern Finanzstaatssekretärin Barbara Hendricks (SPD) der Klage entgegen: „Die Finanzämter kontrollieren in ausreichendem und zunehmendem Maße“, sagte sie. Allein von 1995 bis 1998 habe sich das Aufkommen aus der Spekulationsteuer auf 730 Millionen Euro vervierfacht.

Wie viel Geld dem Staat durch die laxe Praxis entgeht, blieb offen, da über Spekulationsgewinne keine Statistik geführt wird. Nach einer Schätzung des Deutschen Aktieninstituts, die von den Richtern jedoch angezweifelt wurde, sind es 140 Millionen Euro pro Jahr.

Eindrücklich schilderten Vertreter der Finanzverwaltung die Probleme mit dem Bankgeheimnis. „Die derzeitige Rechtsunsicherheit behindert uns stark“, berichtete Harald Gebers von der Oberfinanzdirektion Frankfurt. Die Banken streiten derzeit vor Gericht gegen jeden Informationswunsch der Finanzämter und haben dabei gute Chancen, weil die Finanzgerichte über die Kriterien der Daten-Herausgabe uneins sind. Staatssekretärin Hendricks hofft nun auf eine Klarstellung durch das Verfassungsgericht. Im Frühjahr hatte Rot-Grün versucht, das Bankgeheimnis ganz aus der Abgabenordnung zu streichen, war damit aber am Bundesrat gescheitert.

Die Finanzämter müssen sich deshalb mit aufwändigen Tricks behelfen. Sie nutzen etwa die Daten aus Freistellungsanträgen, um bei den Steuerbürgern auch mal nach Spekulationsgewinnen zu fragen. Verdächtig ist auch, wenn Spekulanten zwar Kosten der Depotführung in der Steuererklärung erwähnen, aber über Gewinne kein Wort verlieren. Es ist damit zu rechnen, dass auch die Verfassungsrichter vom Staat eine effizientere Besteuerung der Aktiengewinne fordern. Das Urteil soll in einigen Monaten fallen.

meinung & diskussion SEITE 11