Sieg ohne Maßstab

Mit einem verdienten 5:1-Erfolg in der Fußball-Champions-League über die belgische Legende RSC Anderlecht sichert sich der SV Werder Bremen den Verbleib im internationalen Geschäft

AUS BREMENBENNO SCHIRRMEISTER

Der Fluch kommt direkt vom Herzen: „C’est con, comment c’était facile“, bricht es aus dem rundlichen Mann heraus. „Scheiße, wie leicht das ging.“ Dann wuchtet er sein Laptop auf den Tisch und beginnt nach Worten zu suchen: „Erniedrigung“ fällt ihm als Erstes ein und „Hinrichtung“ als Nächstes, was bald dazu führt, dass er dem Bremer Stürmer Ivan Klasnic den Beinamen „Anderlecht-Henker“ verpasst. Er fährt sich durchs Haar und hackt mit inbrünstiger Wut weiter in die Tasten: etwas von gesenkten Kicker-Köpfen und einer Mannschaft, die dem Spiel nur als Zuschauer beigewohnt habe.

Gemeint ist jene des Royal Sporting Club Anderlecht. Denn der arme Kerl ist Belgier und Fußballreporter noch dazu, und er muss seinen Lesern von Bruxelles bis Bastogne vom Champions-League-Spiel im Bremer Weserstadion berichten. 5:1 hat das der deutsche Meister gewonnen, ist damit weiterhin Zweiter der Gruppe G. Qualifiziert sind die Bremer durch den Erfolg mindestens für die nächste Uefa-Cup-Runde, die Chancen auf den Verbleib in der Champions-League freilich sind groß. Anderlecht hingegen, punktloser Letzter, bleibt nur eine hypothetische Chance auf den dritten Rang: Die Belgier müssten dafür sowohl Inter Mailand als auch den FC Valencia schlagen. Ein sinnloses Rechenspiel. Denn auch das 5:1, vermerkt der wallonische Kollege, kann „nicht mal als überhöht bezeichnet werden“.

Recht hat er, obwohl die Statistik noch auf ein ausgeglichenes Match schließen ließe. 43 Prozent Spielanteile haben die Uefa-Experten für Anderlecht errechnet. Relevanter wäre allerdings ein Wert, der nicht erhoben wird: Gut 80 Prozent der gezählten Ballkontakte ereigneten sich auf der Platzhälfte der Belgier.

Denn Werder spielte, als hätte es den Auftrag, das Wort pressing zu erklären: drängend, hart, ruhelos – bis zum Schluss und direkt von Anfang an. Gerade hatten die Belgier den Anstoß ausgeführt – ein Rückpass auf den Linksverteidiger Lamine Traoré, schon sah der sich in einen Zweikampf verwickelt. Miroslav Klose attackierte, der Mann aus Burkina Faso wurde nervös. Eine Anspielstation fand er nicht. Traoré versuchte ein Dribbling. Er scheiterte, der Ball war weg, kurz vor dem Strafraum. Also foulte er, Klose fiel, der Schiedsrichter pfiff. Ein harmloser Freistoß setzte die komplette Defensive außer Gefecht: Der Befreiungsschlag misslang, Kopfballstaffetten und hilflose Kerzen auf der rechten Seite, bis der Ball Klasnic vor den Fuß sprang. Der drehte sich und schoss. Nicht einmal besonders hart, nur schnell und platziert und mit dem Blick für den Stellungsfehler des Gästetorwarts. Tristan Peersman wird sich nach der Partie allerdings gegen alle Vorwürfe verwahren. „Der Ball“, beteuerte er, „hat noch den Pfosten berührt.“ Nur dass er selbst noch immer näher an dessen Gegenstück ausharrte, verschwieg er. Und er habe „glücklicherweise noch ein paar tolle Paraden“ hingelegt. Ansichtssache.

Nach 74 Sekunden führte Werder also 1:0, das nächste Tor köpfte Klasnic in der 16. Minute nach Bremens erster Ecke.

Die Anfangsphase hatte ihnen das Trommeln verschlagen. Aber nach einer halben Stunde gab es plötzlich wieder dumpfe Geräusche aus dem Gästeblock, vermischt mit Rufen: „Allez les mauves“ und „Paars-Wit!“, zweisprachig skandierten die rund 2.500 mitgereisten Fans die Vereinsfarben. Mit ihrer einzigen Chance der ersten Halbzeit haben die Lila-Weißen den Anschluss erzielt. Oleg Iachtchouk hatte einen Freistoß von Walter Basseggio per Kopf verlängert. Die Hoffnung hält jedoch nicht lange: Mit unnachahmlicher Eleganz schiebt Micoud in der 33. Minute den Ball vom linken Strafraumrand in die Mitte, und Klose erhöhte auf 3:1.

Fortan ist Lila-Weiß die Farbe der Trauer. Eine Abwehr schienen die Königlichen nicht zu haben, der Strafraumstürmer Aruna verhungerte im Mittelkreis. Also dominierten die Bremer in der zweiten Halbzeit das Spiel nach Belieben, variierten das Tempo und schossen ab und an aufs Tor, wo Peersman immerhin die Hälfte aller Bälle festhalten konnte: In der 80. Minute gönnte sich Klasnic noch einen Treffer, den Endstand markierte Daniel Jensen.

Unvorstellbare 25-mal hat der RSC die nationale Meisterschaft geholt – eine belgische Legende. Aber eben nur eine belgische: „Unsere Liga“, resümierte der enttäuschte Coach Hugo Broos den misslungenen Ausflug, „ist einfach zu schwach.“ Das klang wie eine Entschuldigung, war aber auch eine Warnung an Werder. Denn es hieß: Ein rauschender Erfolg gegen Anderlecht mag schön sein und motivierend. Ein Maßstab aber ist er nicht.