Der laute und der leise Frust

Von einem erhofften „Aufbruch“, von Kontroversen konnte keine Rede sein. Den Parteilinken blieb nicht mehr als ein Abnicken des Reformkurses

In der Frage der Vermögensteuer haben selbstSPD-Linke resigniert

aus Bochum RALPH BOLLMANN

Der Fraktionsvorsitzende hatte die Marschrichtung schon vorgegeben. Eine Vermögensteuer werde der Bochumer SPD-Parteitag „ganz sicher heute hier nicht“ beschließen, verkündete Franz Müntefering gestern schon am Vormittag. Die Delegierten hatten die Botschaft verstanden. Nicht einmal die Parteilinke warf sich am Nachmittag noch für die Abgabe in die Bresche, die nach Ansicht ihrer Befürworter die soziale Balance der Regierungspolitik unter Beweis stellen soll – obwohl selbst die Chefs einflussreicher Landesverbände im Vorfeld nach der Wiedereinführung der Steuer gerufen hatten.

„Ein bisschen gespenstisch“ erscheine ihm der Parteitag, sagte der Hannoveraner Oppositionsführer Sigmar Gabriel. Wohl wahr. Was hatten die Auguren im Vorfeld nicht alles in das Bochumer Treffen hineingelesen. Ein „Aufbruchsignal“ erhoffte die Parteiführung, anderen galt der Verlauf des Treffens als „unkalkulierbar“. Am Ende blieb nicht mehr als ein müdes Abnicken des Reformkurses. Als matte Trophäe darf die Parteilinke neben den schlechten Wahlergebnissen, die sie den Genossen Olaf Scholz und Wolfgang Clement verpasste (siehe nebenstehender Text), nur ein paar vage Absichtserklärungen nach Hause nehmen – eben jene Zugeständnisse bei Erbschaftssteuer und Ausbildungsabgabe, die Kanzler und Generalsekretär schon vor der Abfahrt nach Bochum in Aussicht gestellt hatten.

Mit dem Leitantrag „Unser Weg in die Zukunft“ will Generalsekretär Scholz die „Agenda 2010“, mit der Schröder die Parteibasis im Frühjahr überrumpelte, jetzt endlich in eine größere Perspektive rücken. Für das Papier zeichnete sich gestern Abend eine große Mehrheit ab. Nicht mehr die Kürzungen sozialer Ausgaben sollen demnach im Mittelpunkt der Debatte stehen, sondern die Chancen für die Zukunft. Folgerichtig beginnt der Antragstext, den der Parteitag gestern Abend absegnen sollte, mit Passagen über Innovation und Wachstum, familienfreundliche Arbeitsbedingungen und Geschlechtergerechtigkeit.

Als ginge es darum nur am Rande, folgen die schmerzlichen Themen „solide Finanzen“ und „soziale Sicherheit“ erst ganz am Schluss. Kernpunkt ist hier die Forderung nach einer Bürgerversicherung im Gesundheitswesen. Bei der Rente dagegen wird eine Beitragspflicht für alle Erwerbstätigen strikt abgelehnt. Diesen Zusammenhang zwischen kurzfristigen Reformen und langfristigen Zielen soll jetzt eine Kampagne „Leitbild Gerechtigkeit“ dem Publikum nahe bringen, die auf Antrag des nordrhein-westfälischen Landesverbands beschlossen wurde.

Als Zuckerl bot Scholz der Parteilinken in seiner Rede vor allem eine höhere Besteuerung von Spekulationsgewinnen bei Immobilien und Aktien sowie eine Verschärfung der Erbschaftssteuer an. Spätestens zum 1. Januar 2006 sollten vererbte Häuser und Grundstücke zum vollen Wert besteuert werden – ausgenommen „Omas Häuschen“ und Betriebsübergaben an die nächste Generation.

Obendrein hatte die SPD-Bundestagsfraktion schon in der vorigen Woche die Einführung einer Abgabe für Betriebe beschlossen, die keine Auszubildenden einstellen. Angesichts der heftigen Kritik von Experten auch innerhalb der Partei ist allerdings höchst ungewiss, ob die Abgabe auch wirklich kommt – zumal noch unklar ist, nach welchen Kriterien der Mangel an Ausbildungsplätzen genau festgestellt wird.

Während der Parteitag derlei fromme Wünsche beschloss, droht den Sozialdemokraten in den nächsten Wochen neues Ungemach. Mehr als die gestrigen Parteitagsbeschlüsse beschäftigt die Genossen derzeit die Frage, wie die „Agenda“-Gesetze aus dem Vermittlungsverfahren mit der Union wieder herauskommen werden.

Am größten ist die Angst, Kanzler Schröder könnte am Ende einer Aufweichung der Tarifautonomie zustimmen und den Gewerkschaften auf diese Weise das letzte Wort über Löhne und Gehälter entziehen. Der Kanzler habe am Montag zwar eine „emotional gute Rede gehalten“, bemerkte etwa Vorstandsmitglied Andrea Nahles, aber eine „klare Aussage“ zu dem heiklen Thema sorgsam vermieden. Auch Juso-Chef Nils Annen forderte eine klarere Position. Immerhin legte Wirtschaftsminister Wolfgang Clement in der Debatte über den Leitantrag ein Bekenntnis zur Tarifautonomie ab – allerdings nur, um mit diesem Argument eine Forderung nach Mindestlöhnen abzubürsten.

In der Frage der Vermögensteuer, die der grüne Koalitionspartner auf seinem Parteitag am übernächsten Wochenende fordern will, haben in der SPD dagegen selbst die Linken resigniert. Man wolle „zwei bis drei Themen hochziehen“, kündigte Nahles für die Abstimmungen am Abend an. Die Vermögensteuer gehörte nicht mehr dazu.