Die smarten Fanatiker

Die US-Wähler haben es geschafft, uns zu erschüttern. Sind die Bush-Anhänger dumm? Nein. Sie sind egoistisch und wollen klare Verhältnisse. Und im scheinheiligen Europa passt das vielen in den Kram

Die Wähler der Vereinigten Staaten von Amerika haben so fürchterlich gewählt, wie es die meisten Europäer befürchtet haben: George W. Bush. Selbst wenn Kerry durch einen völlig unwahrscheinlichen Sieg bei den Nachzählungen in Ohio noch Präsident werden sollte: Die Amis wollten mehrheitlich Bush; landesweit stimmten 51 Prozent führ ihn, 48 Prozent für Kerry.

Anders als vor vier Jahren zählt diesmal keine Ausrede der Anständigen: Die Wahlbeteiligung war hoch, und aus keinem Staat wurden wahlentscheidende Betrügereien gemeldet. Florida ging diesmal klar an die Republikaner, ohne Tricksereien beim Auszählen. Das Volk der USA wollte Bush nach vier Jahren Regierung mehr als vorher. In den Umfragen hielten sie Kerry für weniger geeignet in Sachen Wirtschaft, in Sachen Irakkrieg und vor allem bei der Bekämpfung des Terrorismus. Obwohl Bush Junior de facto den Terror weltweit anfachte wie keiner vor ihm, trotz der Lügen im Zusammenhang mit dem Irakkrieg, trotz der Zertrümmerung des US-Steuersystems, trotz korrupter und religiös fundamentalistischer Regierungsmitglieder. Dafür sollen seine Wähler doch verschimmelte Hamburger fressen bis ans Ende seiner Amtszeit.

So weit die Wut über die Amerikaner. Die ist mehr als berechtigt. Überhaupt nicht nachvollziehbar aber ist das Klischee über die dummen Amis. Denn die einzelnen Gruppen haben rational gewählt.

Die Armen wählten Kerry

Das sieht man auch an seinen Gegnern im Lande. Schwarze haben in den wackeligen Swing States teilweise mit über 80 Prozent für Kerry gestimmt. Ähnlich Wähler, die nicht in einer christlichen Kirche sind. Abgesahnt hat Kerry auch bei den Armen. Bei den Leuten mit einem Jahreseinkommen von 30.000 bis 50.000 Dollar wurde es hingegen schon langsam knapp mit den Stimmen. Und bei noch höheren Einkommen geht es dann rapide ins Bush-Lager über. Das ist schlau gewählt. Denn den Wohlhabenden verspricht Bush ja immer neue Steuergeschenke.

Was ist mit den Progressiven, den bis 30-Jährigen? O.k., die wählten Kerry, sind aber in der Minderheit wie in allen Industrieländern. Bei den Frauen hingegen hängen wir wieder bei den üblichen Interessen fest: Sie stimmten zwar insgesamt scheinbar knapp für Kerry – aber nicht die weißen Frauen: Die finden sich mehrheitlich im Bush-Lager, je nach Vermögen.

Also: Die reichen Weißen und die vielen anderen, die an ihren Aufstieg in die 100.000-Dollar-pro-Jahr-Klasse glauben, haben uns weitere vier Jahre Bush eingebrockt. Die sind einfach härter drauf als die entsprechenden Schichten in den anderen reichen Ländern, selbst Deutschland im Hartz-IV-Rausch kann da noch lange nicht mithalten.

Bush und seine Wähler wissen genau, dass sie einer weltweit dünnen Schicht angehören. George W. nannte sie schmunzelnd bei einem Spendensammel-Empfang die „haves and have mores“, diejenigen also, die alles besitzen oder noch ein bisschen mehr. Diese Leute wollen ihren Status halten oder gar heben. Dafür sorgt George W. Bush besser als irgendjemand sonst. Dass dies nur auf Kosten anderer passieren kann – bitte schön, so ist die Welt. Daran ist nichts dumm.

200.000 Iraker für Europa

Dass dank solcher Politik der nationalen Superinteressen gerade knapp 200.000 Iraker gestorben sind, dass wegen der fundamentalistischen Aids-Politik der USA Millionen Menschen unnötig am HIV-Virus zu Grunde gehen werden, ist nicht schön. Entspricht auch nicht unbedingt dem, was ein gewisser Jesus im Neuen Testament hinterlassen hat. Aber man findet immer einen Prediger, der einem trotzdem den Weg ins Paradies weist.

Bei Bushs realer Politik sollten Europäer oder Deutsche sowieso ins Grübeln kommen. Denn die von uns gewählten Regierungen fahren geschickt im Windschatten der waffenstarrenden USA und freuen sich, dass Amerika der Ärger der Unterlegenen gilt.

Wir machen ja mit ein paar Ausnahmen politisch das Gleiche wie die USA: Wir verbrauchen Öl und Gas wie die Verrückten, wir verderben mit unserer Agrarpolitik den Bauern weltweit die Preise, wir stimmen bei jeder Sitzung des Internationalen Währungsfonds brav mit den USA gegen die Interessen der Menschen in Entwicklungsländern. Wir haben Steueroasen in der EU, die munter die Staatshaushalte ruinieren; wir rüsten Hightech-Armeen auf, als ob ein Angriff der Aliens drohte, und lassen dafür die Arbeitslosen und die Schulen verkommen.

Einzig die Kirchen, die bleiben bei uns im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten leer. Ob das den ganzen Rest ausgleicht, kann sich jeder selber fragen.

REINER METZGER