„Der Kampf um Arbeit ist noch ein Tabu“, sagt Bernd Gäbler

Von Dschungelcamp bis Frauentausch: TV-Shows kennen keine Schmerzgrenzen. Doch nicht alle Formate gehen auf

taz: In TV-Shows werden derzeit Brüste vergrößert, Frauen getauscht oder Big Bosse gezeigt, die andere heuern und feuern. Gibt es da gar keine Schmerzgrenzen mehr? Gleichzeitig wächst ja der Ennui an solchen Formaten – selbst die Bild- Zeitung fragt schon scheinheilig, ob Dschungel-TV dumm macht.

Bernd Gäbler: Wir bekommen sehr viele neue Formate präsentiert, die sich allzu häufig lediglich als hektisch abgekupferte US-amerikanische Shows erweisen. Und die funktionieren eben nicht automatisch. Bei den Shows um Schönheitsoperationen schaden die berechtigten kulturkritischen Einwände erstmals den Sendungen. Das ist etwas Neues, bisher wirkte solche Aufregung stets als Zusatz-PR. Das liegt aber auch daran, dass diese Sendungen einfach nicht schön anzusehen sind.

Pro 7 setzt jetzt voll auf „The Swan – Endlich schön!“. In dieser Sendung um Schönheitsoperationen schickt der Sender neben plastischen Chirurgen auch Psycho-Trainer und Ernährungsberater ins Feld. Ist diese Schnippel-Show, die kommende Woche startet, zwangsläufig der nächste Flop?

Wie es scheint, versucht Pro 7 „The Swan“ so umzumodeln, dass es den hiesigen „pc“-Auflagen und Sehgewohnheiten entspricht. Ich glaube dennoch nicht an einen Erfolg. Zwar gibt es auch hierzulande schon Kreise, in denen es selbstverständlich ist, sich zum Abi ein neues Näschen zu wünschen, und generell werden die Grenzen zwischen Natur und Kunst auch bezüglich des eigenen Körpers verschoben – aber bei uns ist dies kein offener Prozess. Es ist wie mit dem Geld: Alles geschieht heimlich und peinlich. Darum wird auch „The Swan“ eine Botschaft aus einer uns fremden Welt bleiben.

Andere Botschaften aus fremden Welten, etwa die zweite Dschungel-Staffel bei RTL, sind aber doch relativ erfolgreich, oder?

Beim Dschungel wundert mich vor allem, wie sehr da der schlichte Kampf um Aufmerksamkeit ganz dreist und unverhüllt im Zentrum steht. Dass der Dschungel oder die Tiere gefährlich seien, wird ja nicht einmal mehr als Illusion aufrechterhalten. Es geht nur noch darum, die Kämpfe gegen den Abstieg auf dem Feld der Ökonomie der Aufmerksamkeit möglichst schonungslos offen zu legen. – Für die Übertragung von der Aufmerksamkeits-Ökonomie in die Hartz-IV-Gesellschaft sorgen die Zuschauer dann schon selber. Mit Schaudern, Häme, Schadenfreude sehen sie sich an, was Menschen, die gegen den Abstieg kämpfen, zu tun bereit sind. Und hoffen natürlich, davon selber verschont zu bleiben.

Warum funktioniert denn dieser öffentlich zur Schau gestellte Sozialdarwinismus im Dschungelcamp, während Job-Shows wie „Big Boss“ und „Hire and Fire“ eher floppen?

Auf eine Distanz zwischen Show und Alltag achten alle Sender. Noch ist der Kampf um Arbeit bei uns aber ein Show-Tabu. Das sind die sozialstaatlichen, aber auch solidarischen Reste der Bundesrepublik. In allen Ländern rundum gibt es Shows, in denen der Sieger einen Job bekommt. Nur wir Deutschen mögen es nicht, wenn der Kampf um Arbeit so offen im TV ausgetragen wird.

Also hat Job-TV in Deutschland keine Chance?

Doch, das wird kommen. Bevor die TV-Grobiane zuschlagen, wären jetzt natürlich Feinsinn und Klugheit gefragt: Wie transformiert man die Sorge um Arbeit, kombiniert mit dem Bemühen um Bildung und Qualifizierung, ohne existenzielles Gegeneinander, vielleicht gar mit Solidarität in unterhaltsames Fernsehen? Das wäre sicher eine dankbare öffentlich-rechtliche Aufgabe, aber ach …

Warum kupfern denn die deutschen TV-Macher derzeit nur im Ausland ab?

Weil sie einer Milchmädchenrechnung folgen: Scheinbar ist das Risiko geringer, weil so eine Sendung ja woanders schon erfolgreich war. Tatsächlich wird nur die eigene Verantwortung minimiert.

Es braucht immer mehr Mut und längeren Anlauf, etwas ganz Neues zu machen. Es ist ein Fehler, dass sich so viele Fernsehleute hauptsächlich in ihrem eigenen System bewegen: Sie beobachten zu sehr den internationalen TV-Markt und zu wenig die eigene Nachbarschaft.

Fernsehen macht aber nicht wirklich dumm, oder?

Mich überrascht vor allem die Langeweile. Auch wenn Frau Nick sich müht, Frau Beil an Gehässigkeit zu übertreffen, und Bild multioptional die Positionen Mitmacher, Profiteur, Enthüller und Kritiker besetzt, bietet der Dschungel 2 ja nichts Neues.

Hier und da – von „Dittsche“ bis Bastian Pastewkas „Ohne Worte“ oder auch „Clever“ mit Wigald Boning – gibt es eine Gegentendenz. Aber auch dort ist es wie immer: Die Erneuerung kommt von den Rändern. Ich wünsche mir die große, lustige, nichtkitschige, gern auch bitterböse, solidarische Job-Show. Mal sehen, wer das packt.

INTERVIEW:
STEFFEN GRIMBERG