Egal, neutral, erfreut

Die Welt blickt auf Washington. Doch im Irak haben die Menschen ganz andere Probleme

VON KARIM EL-GAWHARY
, RALF SOTSCHECK
, SVEN HANSEN
, DOMINIC JOHNSON

„Ja, ich habe gehört, dass Bush es wahrscheinlich wieder geschafft hat, aber was interessiert uns das, wir haben hier ganz andere Probleme“, sagt Intisar am Telefon in Bagdad. Sie hat mit ihrer Familie eingebunkert im Haus den Krieg überlebt und sich seitdem mehr oder weniger unbeschadet durch die Tiefen des Bagdader Lebens geschlagen. Aber jetzt ist Intisar mit den Nerven am Ende.

Statt am Fernsehen die US-Wahlen zu verfolgen, war sie die ganze Nacht damit beschäftigt, ihre beiden Töchter Samar (8) und Sarah (10) einigermaßen zu beruhigen. Sie waren am Dienstag überraschend völlig verschreckt und traumatisiert ein paar Stunden früher vom Unterricht zurückgekommen. Unmittelbar vor ihrer Schule, die in der Nähe des irakischen Erziehungsministeriums liegt, waren zwei Autobomben explodiert. Vor dem Schulgebäude kamen mindestens acht Menschen ums Leben, zwei Dutzend wurden verletzt. Die Druckwelle zerstörte auch einen Teil der Schule; das herumfliegende Glas verletzte mehrere Kinder.

Die kleine Sarah konnte nicht darüber sprechen, was sie erlebt hat, als sie nach Hause kam. Stattdessen malte sie schweigend ein Bild mit viel Feuer und Rauch und schreienden Kindern, die verzweifelt versuchen, wegzulaufen. In der Mitte ihres Werkes ist Samar selbst zu sehen. Als sie mit dem Bild fertig ist, zieht sie ihre persönliche Schlussfolgerung: „Ich werde nie wieder zur Schule gehen.“

Der Anschlag war vermutlich eine Antwort darauf, dass ein großer Teil der Schulen für die Wahlen im Januar in Wahllokale umgewandelt werden soll. Für die Attentäter wird das Erziehungswesen damit zu einem Kollaborateur der Besatzung.

„Was sollen wir hier überhaupt noch wählen“, sagt Intisar verbittert, „wir alle wissen, dass unser Präsident letzte Nacht in Amerika gewählt wurde und dass der irakische Präsident für weitere vier Jahre George Bush heißen wird.“

Blair ist zufrieden

Der britische Premierminister Tony Blair hätte John Kerry als US-Präsidenten vorgezogen. Das hat er jedenfalls seinen Freunden und Beratern unter dem Siegel der Verschwiegenheit gesagt. Offiziell blieb er freilich neutral, und so hielt er sich gestern so lange bedeckt, bis der Sieger feststand.

Privat hat Blair jedoch durchblicken lassen, dass das Leben für ihn einfacher wäre, würde Kerry gewinnen, weil dann die Chancen auf ein Ende der Labour-Querelen in Sachen Irak besser stünden. Das würde Labour bei den Wahlen im kommenden Jahr nützen.

Der Guardian zitierte gestern allerdings einen Blair-Berater, der von einem taktischen Spiel sprach: Blair habe seine Unterstützung für Kerry durchsickern lassen, um seine eigenen Hinterbänkler – die Kerry favorisierten – zu beruhigen. In Wahrheit aber fürchtete er einen Sieg Kerrys, weil der sich nach seinem Amtsantritt erneut die Begründungen für den Irakkrieg vorgeknöpft hätte, und darunter hätte auch Blair gelitten. Natürlich wusste auch Kerry von Blairs Dilemma, und so war er nicht sonderlich erpicht auf ein Treffen mit dem britischen Premierminister. Bei Blairs Washington-Besuch bemühte sich Kerry gar nicht erst, dafür Platz in seinem Terminkalender zu schaffen.

China setzt auf Bewährtes

Die Regierung in Peking hat im US-Wahlkampf keine Präferenz erkennen lassen und reagierte auch bis gestern Abend (Ortszeit) nicht. Das liegt nicht nur an der Zeitverschiebung und daran, dass man in Peking in solchen Fragen ungern eine Position bezieht, die man vielleicht nochmal revidieren muss. Erschwerend kommt hinzu, dass die Führung durch einen Artikel des langjährigen Außenministers und Ex-Vizepremiers Qian Qichen in eine schwierige Lage gebracht wurde.

Qian hatte einen Tag vor der Wahl in einem Artikel der offiziellen englischsprachigen Tageszeitung China Daily Bush frontal angegriffen. Er warf ihm Arroganz vor und mit Gewalt nach der Weltherrschaft zu streben. Mit seinem Angriff auf den Irak habe Bush eine Büchse der Pandora geöffnet.

Chinesische Offizielle bemühten sich seitdem um Schadensbegrenzung. Sie betonten, Qian habe den Text weder für China Daily geschrieben noch dem Blatt ein Interview gegeben. Das ist nur die halbe Wahrheit. Denn Qian hatte den Text ursprünglich für eine Wochenzeitung der zentralen Parteischule geschrieben. In dem auf einheimisches Publikum zielenden Blatt war der Text Mitte Oktober erschienen. China Daily übersetzte ihn und veröffentlichte ihn direkt vor der Wahl. Dass dies ohne Rücksprache geschah, soll bei der Parteizeitung nicht ungewöhnlich sein.

Die Chinesen wissen jetzt zumindest, woran sie sind, und müssen nicht erst einem neuen Präsidenten eine Lernphase zugestehen. Bisher machte China mit US-Präsidenten die Erfahrung, dass diese als Herausforderer eine kritischere Haltung gegenüber China einnahmen als nach einiger Zeit im Amt. So sprach auch George W. Bush anfänglich von einer strategischen Rivalität, die mit dem Luftzwischenfall vor Hainan im Frühjahr 2001 Gestalt annahm. Doch dann bemühten sich beide Seiten um eine rasche Beilegung des Konflikts und vermieden seitdem, der anderen Seite zu sagen, was sie wirklich denken. Genau das hatte Qian jetzt ungewöhnlicherweise getan und damit den Pfad der Diplomatie verlassen. Dabei dürfte für China jetzt sogar positiv sein, dass mit Bush Handelskonflikte weniger wahrscheinlich sind als mit dem eher zum Protektionismus neigenden Kerry.

Afrika wählt Bush

In einem Land, wo Priester Kindersoldaten mit Zauberwasser unverwundbar machen können, dient auch eine US-Wahl zum Nachweis hellseherischer Fähigkeiten. „Bushs Sieg“, titelte schon gestern die führende Tageszeitung der Demokratischen Republik Kongo, Le Potentiel, und meldete 276 Wahlmänner für Bush gegen 262 für Kerry. So weit waren die USA selbst noch gar nicht, als das Blatt in Kinshasa in Druck ging.

Für ein Land wie Kongo ist ein Bush-Sieg bedeutsam, denn die Bush-Administration ist Bremser Nummer eins bei der Vergrößerung von Blauhelmmissionen in Afrika. Anders als die US-Demokraten stellen sich die US-Republikaner immer wieder gegen den Trend zur Einrichtung großer UN-Missionen in Afrikas Krisenländern – Sierra Leone, Liberia, Elfenbeinküste, Burundi, Kongo, voraussichtlich bald Sudan. Die Bush-Regierung verhinderte erst im September die Aufstockung der UN-Mission im Kongo und drängt auch auf eine rasche Terminierung der UN-Mission in Liberia. Da viele Afrikaner der UNO aber nicht trauen, ist diese Zurückhaltung dem Ansehen der USA nicht unbedingt abträglich.

Mehr Interventionsfreudigkeit hat Sudan von einer zweiten Bush-Amtszeit zu erwarten. Die religiöse Rechte der USA sieht im Militärregime des Sudan, das zumindest früher einmal islamistisch dominiert war, einen Erzfeind. Erst einen Tag vor der Wahl verlängerte Bush die geltenden US-Sanktionen gegen Sudan um ein weiteres Jahr.

Am wichtigsten ist Afrika für die USA jedoch aus zwei Gründen: Öl und Terroristen. Vom Ersten können die USA derzeit aus Westafrika gar nicht genug kriegen, vorm Zweiten haben sie schon jetzt in der Sahara-Sahel-Region sowie in Somalia große Angst. Afrika hat in vier Jahren Bush eine neue strategische Bedeutung erhalten. „Bush hat beispiellose Hilfszusagen für Afrika gemacht, um Aids zu bekämpfen, Friedenstruppen auszubilden und Reformregierungen zu unterstützen“, lobte vor der US-Wahl Südafrikas führende Tageszeitung Business Day und sah voraus: „Egal wer an der Macht ist: Washington wird in Zukunft Afrika viel mehr Aufmerksamkeit schenken.“