„Fragile US-Wirtschaft“

Ökonomische Probleme schwächen die Position der USA als globale Militärmacht, sagt Politikforscher Heribert Dieter

INTERVIEW HANNES KOCH

taz: Schon die Nachrichten über einen möglichen Sieg von George W. Bush bei den US-Präsidentschaftswahlen trieben gestern die Aktienkurse nach oben. Gibt es unter den Aktienhändlern keine Demokraten?

Heribert Dieter: Doch, schon. Denken Sie an den Milliardär George Soros, der sehr viel Geld und Energie darauf verwendet hat, Bush loszuwerden. Steigende Kurse sind vermutlich eine kurzfristige Reaktion, die der Logik der Finanzmärkte folgt.

Aber der durchschnittliche Börsenhändler denkt doch, dass Bush für die Ökonomie besser ist als Kerry. Warum?

Das hat vermutlich damit zu tun, dass von Bush keine Überraschungen zu erwarten sind – keine Steuererhöhungen für Unternehmen und Reiche zum Beispiel.

Ist die Reaktion der Börsen nicht trotzdem erstaunlich – der Zugang von ausländischen Unternehmen zu den US-Märkten wird doch eher schlechter?

Wohl wahr. Auf mittlere Sicht werden die USA dem Rest der Welt weniger Waren abkaufen als heute. Nordamerika kann nicht langfristig fünf Prozent seiner jährlichen Wirtschaftsleistung – rund 500 Milliarden Dollar – im Ausland leihen. So läuft das heute – ein gigantisches Ungleichgewicht. Zur Abhilfe gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder die USA kaufen weniger, oder sie verkaufen mehr.

Was heißt das für Mercedes, VW und den deutschen Maschinenbau?

Diese Unternehmen dürfen nicht davon ausgehen, dass die überraschend starke Nachfrage in den USA noch lange anhält. Man muss sich anders orientieren, etwa nach Asien.

Hilfe, Deutschland hat schon genug Probleme, und jetzt auch noch das.

Ach, Pessimismus hilft nicht weiter und ist auch nicht angebracht. Die deutschen Unternehmen sind international doch sehr konkurrenzfähig. Einen Teil der wegbrechenden Nachfrage in den USA muss man allerdings auch durch einheimischen Konsum in Deutschland und Europa ersetzen – Sparen hilft nicht weiter.

Die USA brauchen heute pro Tag etwa 1,5 Milliarden US-Dollar aus dem Ausland, um ihren Kapitalbedarf zu decken. Wie lange bleibt so etwas beherrschbar, oder droht der Zusammenbruch dieses merkwürdigen Systems?

Darauf kann Ihnen niemand eine präzise Antwort geben. Wir wissen nur, dass diese Konstellation gefährlich ist. Wie lange das Ausland bereit ist, den USA weiter Milliarde auf Milliarde zu leihen, ist nicht klar zu prognostizieren.

Warum sind die internationalen Investoren dazu eigentlich bereit?

Heute pumpen im Prinzip nur die Notenbanken Chinas, Japans und Südkoreas Kapital in die USA. Die machen das beispielsweise, um ihre eigenen Währungen stabil zu halten. Oder auch, um die Nachfrage der USA nach asiatischen Exportprodukten zu stimulieren. Für China ist es außerdem interessant, viele amerikanische Staatsanleihen zu besitzen, weil daraus ein politisches Druckmittel gegen die USA in Sachen Taiwan werden könnte. Erstaunlich finde ich, dass die USA sich eine derart starke Abhängigkeit von einigen wenigen Staaten leisten.

China finanziert also den US-Krieg im Irak?

Das ist sehr zugespitzt formuliert. Wenngleich China natürlich US-Staatsanleihen kauft und damit den Haushalt der Bush-Regierung stützt.

Wir sind es gewohnt, die USA als globale Hegemonialmacht wahrzunehmen. Stimmt das überhaupt, wenn die Ökonomie so fragil ist?

Man muss trennen zwischen dem militärischen Supermachtstatus und der ökonomischen Rolle. Amerikanische Unternehmen sind in immer geringerem Umfang in der Lage, ihre Produkte konkurrenzfähig auf dem Weltmarkt anzubieten. Sonst würden sie mehr verkaufen und hätten einen Handelsbilanzüberschuss, kein Defizit.

Wie sehen Sie den aktuellen Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und politischer Macht?

Wenn die ökonomische Hegemonie erodiert, ist irgendwann auch die militärische Dominanz infrage gestellt.

Was könnte Bush denn tun, um die wirtschaftliche Schieflage zu beseitigen?

Alle Gegenmaßnahmen sind bitter. Die privaten Haushalte und auch der Staat müssen Ausgaben reduzieren. Das würde natürlich die Konjunktur bremsen. Davor haben sich sowohl Bush als auch Kerry gefürchtet. Außerdem drohen höhere Steuern.

Expräsident Bill Clinton hat eine Politik des Freihandels betrieben. Sein Nachfolger George W. Bush praktiziert dagegen hegemonialen Liberalismus, bei dem die Interessen der USA eine stärkere Rolle spielen. Werden die internationalen Wirtschaftsorganisationen wie WTO und IWF künftig weiter an Bedeutung verlieren?

Vermutlich werden diejenigen Kräfte an Bedeutung gewinnen, die für eine stärkere Abschottung der US-amerikanischen Ökonomie plädieren – egal wer die Wahl gewonnen hat. Da Bush im Amt bleibt, wird die Bereitschaft zur Regulierung der Märkte nicht eben zunehmen. Die spannende Frage für den Rest der Welt lautet: Wie organisiert man die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit ohne die Amerikaner?