Eine echte Mehrheit

Bush hat diesmal die christlich-konservativen Wähler mobilisiert. Und die ärgert eher die Homoehe als der Irakkrieg

Die christliche Rechte hat als wohl finanzierte Graswurzelbewegung über Jahrzehnte ihre Fäden gesponnen

AUS WASHINGTON BERND PICKERT

George W. Bush steht vor seiner zweiten Amtszeit als Präsident der Vereinigten Staaten. Er verdankt diesen Sieg vor allem seinem Chefberater, seinem „Gehirn“, wie er gern genannt wird: Karl Rove. Der erfolgreiche konservative Wahlstratege, bekannt dafür, mit allen Mitteln niederzuringen, wer immer sich ihm in den Weg stellt, hatte die Wahlergebnisse aus dem Jahr 2000 genau analysiert und war zu einer einfachen Überlegung gekommen: Vier Millionen christlich-konservative Wähler, die vor vier Jahren nicht für Bush gestimmt hatten, müssten diesmal in die Wahllokale mobilisiert werden. Das müsste reichen, um Bush den Sieg zu garantieren.

So war es kein Wunder, dass sich Präsident Bush in den Fernsehdebatten mit seinem Herausforderer John Kerry kaum auf einen argumentativen Schlagabtausch über die Sachthemen einließ, sondern in schlichten Sätzen an den Schlüsselbegriffen der ethischen und moralischen Grundüberzeugungen entlang argumentierte, wobei er Kerry stets als Ultraliberalen porträtierte.

Kerry wurde von allen Analysten zum Sieger der Debatten erklärt – aber Bush hatte Karl Roves Ziel, durch eine Freund-Feind-Stellung entlang christlich-konservativer Grundfragen die eigene Basis zu mobilisieren, erreicht. Kerry kämpfte um die Mitte – Bush mit Rove um die Rechten. Dass Bush in diesem Jahr noch rechtzeitig über einen Verfassungszusatz gegen die Homoehe abstimmen ließ, obwohl er wusste, dass das nicht durchkommt, diente dem gleichen Zweck.

Rove wusste, dass er auf der seit Jahren aufgebauten und inzwischen gefestigten Struktur einer christlich-konservativen Bewegung aufbauen konnte. Die erreicht fast im ganzen Land ein Massenpublikum, und zwar an den noch immer eher liberalen Mainstream-Medien fast völlig vorbei. Eine Flut von christlich-konservativen Websites, Radiostationen, Weblogs hat seit Jahrzehnten eine Basis aufgebaut.

In ihrem gerade erschienenen Buch beschreiben zwei der Organisatoren dieser Bewegung, Richard A. Viguerie und David Franke, wie die Konservativen – im Übrigen außerhalb der Republikanischen Partei! – seit 30 Jahren daran arbeiten, den Zugriff auf die neuen Medien zu festigen und so die überwiegend liberale Religiosität der 50er-Jahre durch eine konzertierte Zusammenarbeit der christlichen Rechten in ihr Gegenteil zu verkehren. Und das, ohne dass die Liberalen davon überhaupt nur ernsthafte Notiz nahmen.

Die Nachwahlumfragen folgen fast drehbuchartig den Vorgaben, die etwa der konservative Aktivist James C. Dobson, ein Kinderpsychologe und rechter Bestsellerautor mit sieben Millionen verkauften Büchern, auf der Website seiner Organisation „Focus on the Family“ vorgibt. In einem fiktiven Gespräch erklärt er dort zwei Jugendlichen, die gegen Abtreibung sind, aber auch den Irakkrieg als ungerecht empfinden und fragen, wen sie denn nun wählen sollen, warum selbstverständlich Abtreibung das wichtigere Thema sei.

Genau das hat funktioniert: Wochenlang sagten die Umfragen, Terrorismus und der Irakkrieg würden die Wähler am meisten beschäftigen – und in den Nachwahlumfragen stehen plötzlich moralische Fragen an der Spitze dessen, was die Wähler umtrieb. Nicht zufällig wurde in allen elf Bundesstaaten, in denen ein entsprechendes Referendum zur Abstimmung stand, mit zum Teil großer Mehrheit gegen die Homoehe gestimmt. Die Liberalen mögen mit ihren Themen zwar viele Wähler erreicht haben. Doch es blieb den Konservativen vorbehalten, die Tagesordnung zu bestimmen.

So wie die neokonservativen Intellektuellen die Clinton-Jahre nutzten, um außerhalb des Regierungs- und Parteiapparats die Grundlagen für eine neue US-Außenpolitik zu schmieden, haben die christlichen Rechten als – wohl finanzierte – Graswurzelbewegung ihre Fäden gesponnen. Und diese Bewegung hat nun Zugriff auf den Staatsapparat: Die Republikaner haben ihre Mehrheit im Senat ausgebaut – und einige der neuen Senatoren stehen für den konservativsten und aggressivsten Teil der Republikanischen Partei. Etwa Jim Demint, der am Dienstag einen bislang von den Demokraten gehaltenen Senatssitz in South Carolina gewonnen hat: Er ist fanatischer Abtreibungsgegner, will Schwulen verbieten, in Schulen zu unterrichten, und obendrein auch noch das gesamte Steuersystem abschaffen.

Zum konservativen Staatsarsenal kommt nun eine vergrößerte Mehrheit im Repräsentantenhaus und in der kommenden Legislaturperiode mit Sicherheit ein radikal-konservativer Schwenk im Obersten Gerichtshof. Es ist viel darüber spekuliert worden, ob eine zweite Bush-Amtszeit von mehr Überparteilichkeit und weniger Polarisierung geprägt sein könnte – nichts deutet darauf hin, dass sich das bewahrheiten könnte. Auf moderate Republikaner braucht Bush nicht mehr zu achten. Die Polarisierung hat Erfolg, und warum sollte Karl Rove nicht auf dieser Basis an der strukturellen Hegemonie weiterbasteln?

Seine und Präsident Bushs Hauptaufgabe wird dabei sein, die Konservativen und die Republikanische Partei noch stärker aneinander zu binden. Viguerie und Franke sehen darin eine Gefahr für „die Bewegung“. Sie erinnern daran, dass die wichtigsten Wachstumsphasen der Bewegung immer anbrachen, wenn sich die Führer der neuen Rechten von den Republikanern möglichst unabhängig gemacht hatten. Schon schießt mancher Konservativer gegen die exzessive Ausgabenpolitik der Regierung oder kritisiert Bush als „Big Spender“. Der wird nichts unversucht lassen, um den Erwartungen des organisierten Konservativismus gerecht zu werden. Er wird versuchen, dabei nicht die wenigen moderaten Republikaner, die in diesem Wahlkampf eine Rolle gespielt haben, völlig zu verprellen: Senator John McCain etwa oder den kalifornischen Gouverneur Arnold Schwarzenegger.

Dessen Hoffnungen darauf allerdings, der Kongress könne die Verfassung ändern, um ihm als gebürtigem Österreicher die Kandidatur zur Präsidentschaft zu ermöglichen, dürfte die christliche Rechte zu Grabe tragen. Ihnen gilt Schwarzenegger, der in Kalifornien am Dienstag über die Förderung der Stammzellenforschung abstimmen ließ und gewann, als Liberaler. Im Konfliktfall würde Bush inzwischen wohl eher McCain opfern als die konservativen Christen.

Außenpolitisch hingegen sind Überraschungen denkbar. Vieles spricht dafür, dass Bush mehr als in seiner ersten Amtszeit auf die Verbündeten zugehen wird – freilich ohne ihnen allzu viel anzubieten. Es ist gut vorstellbar, dass etwa die Europäer, nunmehr ja auch ohne die Hoffnung auf einen baldigen Wachwechsel im Weißen Haus, nicht weitere vier Jahre der Konfrontation suchen werden. Zudem weiß Bush, anders als er es für den Irak annahm, dass die USA etwa den Konflikt mit dem Iran nicht alleine austragen können. Er könnte versuchen, über eine enge Zusammenarbeit mit den Europäern im Fall Iran auch das Tor für ein stärkeres Irak-Engagement zu öffnen.

Anders als vor vier Jahren hat Bush diesmal auch eine echte Mehrheit der US-Amerikaner hinter sich gebracht. Anders als vor vier Jahren wird es nicht der Ruch des Wahlbetrugs sein, der Bush im Weißen Haus belässt. Trotzdem bleibt das Land gespalten. Bush hat beide Seiten mobilisiert, die Konservativen für sich und die Liberalen gegen sich. Er hat vier Jahre lang die Initiative gehabt, und die wird er behalten. Das immerhin hat seine erste Amtszeit deutlich gezeigt: The winner takes it all.