Giovanni di Lorenzo ist der Kneifer
: Therapie gefährdet

Der Mann ist fertig. Noch ist er beim Wochenmagazin Die Zeit nicht ähnlich auf- und ausfällig geworden, heißt es. Aber die Therapieaussichten für Giovanni di Lorenzo sind nach Expertenmeinung ausgesprochen schlecht.

Der Chefredakteur des Holtzbrinkschen Intelligenzblattes und Moderator der Radio Bremen Talkshow „3 nach 9“ hatte vor laufender Kamera im öffentlich-rechtlichen Fernsehen bekannt, seine Kollegin Amélie Fried vor jedem Auftritt zu kneifen. „Ich habe versucht, von dieser schlechten Angewohnheit loszukommen“, sagte di Lorenzo dem öffentlich-rechtlichen Beichtvater Johannes Baptist Kerner.

Offenbar ein Hilferuf: Laut Psychologie-Professor Uwe Tewes ist das Kneifen von Menschen „keine gesunde, aber verbreitete Form der Stressbewältigung“. Sie sei nicht zwangsläufig Symptom einer tiefer greifenden psychischen Erkrankung. Tewes, Leiter der Abteilung Medizinische Psychologie an der Hochschule Hannover, gilt als Koryphäe auf dem Gebiet der psychobiologischen Stressforschung. „Gerade Menschen, die unter hohem Druck stehen, neigen zu ähnlichen pathologischen Formen des Spannungsabbaus.“ Analog zu sehen seien beispielsweise Fälle von Managern, die „in Rollenspielen mit Vorliebe extrem entwürdigende Positionen einnehmen“. Hinter einem öffentlichen Bekenntnis zu derartigen Abweichungen würde er „eine therapeutische Anweisung vermuten“, so Tewes: „Die meisten Therapeuten raten ihren Patienten zunächst: bekenn’ dich dazu, dann verliert es die Macht über dich.“

Wäre di Lorenzo also doch auf dem richtigen Weg? Durchaus: „Die Therapeuten, die das empfehlen, bezeichnen es als einen notwendigen, aber keinesfalls hinreichenden ersten Schritt – mit dem Bekenntnis alleine wird man das Problem nicht los.“ Er müsste also noch an sich arbeiten. Wird er das? Zweifelhaft. Denn auch das Opfer der Attacken erzählte affirmativ von den Vorgängen im Bremer Fernsehstudio. „In so einem Fall“, so Tewes erfahre der jeweilige Patient „unbewusst eine Unterstützung.“ Das erschwere die Behandlung, wo es sie nicht unmöglich mache. Sollte es sich um missverstandene Kollegialität handeln? Die Sprecherin des deutschen Frauenrates, Ulrike Helwerth, gibt jedenfalls Frau Fried den Tipp, „dass derlei Anmache am Arbeitsplatz heute nicht mehr Schicksal ist, sondern angezeigt werden kann“.

Benno Schirrmeister/Foto: AP