Diepgen soll wieder rennen

In ihrer Verzweiflung kann sich die CDU sogar wieder Eberhard Diepgen als Spitzenkandidaten für 2006 vorstellen. Kreischef: „Es bietet sich ja derzeit keiner an.“ Doch der Umworbene sagt ab. Vorerst

VON STEFAN ALBERTI

Der Gedanke müsste so fern liegen. Zu viel hat die Berliner CDU in den zwei, drei Jahren von Erneuerung und Generationswechsel geredet. Zu viel, um auch nur annähernd ernsthaft zu erwägen, Eberhard Diepgen könne sie 2006 erneut in die Abgeordnetenhauswahl führen. Von wegen: Allein das Gerücht, der frühere Regierende Bürgermeister und CDU-Landeschef könnte genau daran denken, zeigte gestern, wie wenig Rückhalt die aktuelle Führung und der angebliche Reformprozess haben. Bei einer taz-Umfrage unter gut der Hälfte der zwölf Kreischefs oder ihren Vizes erklärte kein einziger die Idee klipp und klar für absurd.

Stattdessen zeigte man sich prinzipiell offen. „Warum nicht? Es bietet sich ja derzeit keiner an“, sagte etwa der CDU-Chef in Mitte, Stephan Tromp. Der Vizechef in Treptow-Köpenick, Fritz Niedergesäß, prognostizierte, Diepgen würde der CDU zusätzliche Prozente bringen. Er schränkte allerdings ein, eine solche Kandidatur wäre „kein Signal für die Zukunft“. Allein der Chef des Parteinachwuchses Junge Union, Tim Peters, erklärte Diepgen und seine Politik klar zur „CDU von gestern“ und wandte sich eindeutig gegen ein Comeback.

Die Berliner Union scheint von der Retro-Welle erfasst. Was im Osten ein verklärter Blick auf DDR-Zeiten, das ist der CDU das Schwärmen von der Diepgen-Zeit, mit Wahlergebnissen von über 40 Prozent wie 1999. Platz dafür aber kann nur sein, wenn ihn die aktuelle Führung lässt. Wenn sie nicht ausreichend Führungsstärke ausstrahlt. Landeschef Joachim Zeller und Fraktionschef Nicolas Zimmer sind seit Monaten in der Kritik, zu wenig zu führen. Das schlägt sich auch in Umfrageergebnissen nieder, wo die Union 14 Prozentpunkte Vorsprung auf die SPD fast komplett verspielt hat.

Dass Diepgen im Februar zum Ehrenvorsitzenden gewählt wurde, ließ sich noch als elegante Form deuten, ihn endgültig aufs Altenteil zu schieben. Doch statt sich auf ein Dasein als Elder Statesman zu beschränken, greift Diepgen – mit 62 ohnehin noch gar nicht so alt – wiederholt in die aktuelle Politik ein.

Die Debatte um die Spitzenkandidatur 2006 belastet die CDU ohnehin. Nach neuester Sprachregelung soll darüber erst ein Parteitag im Herbst 2005 entscheiden. Zimmer aber hatte noch im Sommer im taz-Interview auf zügige Klärung der Frage gedrängt: Wenn man eine Lösung von außen wolle, wäre es zu spät, diese Angelegenheit erst beim Parteitag 2005 zu klären.

Diepgen, im Juni 2001 als Regierender Bürgermeister abgewählt, war im Februar 2002 nach 19 Jahren als Landesvorsitzender zurückgetreten, nachdem die Partei ihm Listenplatz 1 für die Bundestagswahl verweigert hatte. An Öffentlichkeit ist der Exchef weiter sichtlich interessiert. Nicht nur wegen seiner jüngst veröffentlichten Erinnerungen. Als er vor ein paar Wochen zu einer Veranstaltung schritt, wartete dort auch ein taz-Fotograf. Diepgen stellte sich sofort in Positur, obwohl noch nicht mal die Kamera ausgepackt war. Derartige Folgen von Machtentzug beschreibt auch der Spiegel-Reporter Jürgen Leinemann in seinem aktuellen Buch „Höhenrausch“.

Offiziell lehnt Diepgen eine Kandidatur ab. „Die Antwort ist eindeutig nein“, sagte gestern er der taz. „Ich glaube, selbst die Erkenntnis, dass man als Jurist niemals nie sagen sollte, bringt mich nicht davon ab.“ Das muss er natürlich sagen. Einer wie er bietet sich nicht an, der will gefragt werden. Die Berliner CDU muss also weitersuchen nach einem Spitzenkandidaten. Oder noch ein bisschen bei Diepgen betteln gehen.