Herbst im Sündenbabel

Wie ist die Stimmung im Central Park? New York hat einen schweren Wahlkater

NEW YORK taz ■ Der Tag danach beginnt mit blauem Himmel und strahlendem Sonnenschein über dem laubbunten Central Park. Die Stadt ist merkwürdig still. Schweigsame, in sich gekehrte Gestalten schlurfen mir beim morgendlichen Hundespaziergang entgegen. Während die Köter an Sträuchern und Laternenpfählen ihre Zeitung lesen und die Beine heben, starren wir mit leerem Blick in eine düstere Zukunft. Die Stimmung ist auf dem Nullpunkt. New York hat einen Wahlkater.

Mein sturer Terrier hat ein Auge auf eine französische Bulldogge geworfen und zerrt an der Leine. „Das ist Roxanne“, stellt ihre Besitzerin sie vor. „Sammy.“ Sammy beschnüffelt hoch interessiert das Hinterteil der Bulldoggendame. Roxanne ziert sich. „Noch vier Jahre!“, bricht es aus der Grauhaarigen heraus. „Unglaublich!“ Ich nicke stumm. „Wir gelten hier als der terrorgefährdetste Ort in den USA, aber WIR wählen mit 70 Prozent Kerry!“, ereifert sie sich. „Ich weiß“, murmele ich resigniert. „Ein einziger Staat! Ein einziger, gottverdammter Staat“, seufzt sie erschüttert.

Gemeint ist Ohio. Jon, der Schwiegersohn meines Mannes kommt aus Ohio. Er lebt jetzt in New York, genauer, in Brooklyn. Sündenbabel. Findet ganz sicher die Mehrheit der Bürger Ohios. Dort wurde nämlich gleichzeitig mit dem Präsidenten über einen Verfassungszusatz abgestimmt, wonach die Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern verboten werden soll. Das jedenfalls hat Ohio entschieden. Was wiederum zu ungeahnten Konsequenzen in Brooklyn führen könnte. Denn Jons Eltern leben in Ohio. Und Jons Eltern haben ganz verschiedene Ansichten über Parteien, Präsidenten und vieles mehr.

Bisher funktionierte das reibungslos. Der Vater wählte die Republikaner, die Mutter die Demokraten, und alles war gut. Doch die Zeiten friedlichen Ausgleichs an der Wahlurne sind vorbei, am Wahlabend steuerte die häusliche Auseinandersetzung – von Jon per Telefon mitverfolgt und an uns weitergegeben – einem unerwarteten Höhepunkt entgegen. Tränen flossen, und das junge Paar in Brooklyn sieht mit gemischten Gefühlen der Möglichkeit entgegen, die Besuchercouch ausklappen zu müssen. Bei der Frage, wer denn nun wohl einziehen würde, herrschte Uneinigkeit. Ich meinte, dass die kriegsmüde, schwulen- und lesbenfreundliche Mutter reif für unsere Demokraten wählende Enklave ist, aber Jon reagierte pragmatisch: „Behält nicht immer die Frau das Haus bei der Scheidung?“ George Bush, der selbst proklamierte „Uniter, not Divider“. Ha!

„Ich wünschte, jemand würde ihn erschießen!“, sagt die Grauhaarige plötzlich versonnen und sieht zu, wie Sammy versucht, Roxanne zu vergewaltigen. „Dann haben wir Cheney.“ Entsetzt starrt sie mich an. „Gut, dann beide“, entscheidet sie pragmatisch und geht energischen Schrittes von dannen. Unter der Stille brodelt es.

PIA FRANKENBERG