Nur das nackte Ergebnis stört

Die Münchner Bayern sind eigentlich ganz zufrieden mit sich und den beiden Spielen in der Champions League gegen Juventus Turin. Bloß, dass sie zweimal 0:1 verloren haben, trübt die Harmonie und nährt Zweifel an der These der Ebenbürtigkeit

AUS MÜNCHEN THOMAS BECKER

Ein eher geräuscharmer Abend. Nicht so schlimm wie bei Juves Geisterkulissen-Heimspielen, das nun gerade nicht. Das Münchner Olympiastadion war schließlich ausverkauft, 59.000 wollten das Treffen zwei der ambitioniertesten europäischen Klubs sehen. Aber Jubel? Nun ja. Gerade dreimal in 90 Minuten drang das Publikumsgeräusch in Dezibelbereiche, bei denen man von gesteigerter Akklamation aufgrund von Begeisterung sprechen konnte. Erstmals in Minute 61. Eine harmlose Tändelei im Mittelfeld, aber an der Anzeigetafel tat sich einiges: „Maccabi Tel Aviv – Ajax Amsterdam 2:0“ stand da. Damit war beiden Teams gedient, den Münchnern noch ein bisschen mehr. Jubel Nr. 2 sieben Minuten später: Für den mit Kreuzbandriss ausgeschiedenen Andreas Görlitz lief Mehmet Scholl aufs Feld, wie von den Fans zuvor heftig eingefordert. Es sollte sein einziger Szenenapplaus bleiben. Der finale Jubel setzte dann 13 Sekunden vor Schluss ein und kam aus der Nordkurve. Dort stehen die Gäste-Fans.

„Bei einer Situation zwei gegen eins wie vor dem 0:1 darf man einen Gegenspieler nicht in dieser Art und Weise bekämpfen“, analysierte Bayern-Coach Felix Magath, „das ist nicht unser Niveau.“ Aber: Was ist das Niveau der Bayern? Die Partie gegen die klassisch-italienische 1:0-Truppe aus Turin gab Aufschluss. „Vorsichtig würde ich sagen: Wir waren ebenbürtig“, sagte Magath sehr vorsichtig und schob – ebenso vorsichtig – nach: „Wir haben besser gespielt, aber Juve war erfolgreicher.“

Magath hatte die Parallele zum Hinspiel gezogen: gut gespielt, kein Tor gemacht, zweite Halbzeit mitgehalten, spätes Gegentor bekommen – so war’s in Turin und so war’s auch in München. In der letzten Minute übertölpelte der begnadete Fummler Zlatan Ibrahimovic die bis dahin beiden besten Bayern Hargreaves und Frings, seinen scharfen Schuss ließ Kahn nach vorn abprallen, wo Del Piero erstmals an diesem kühlen Abend in Erscheinung trat: Er schob den Ball ins Tor. Fast logisch, dass Makaay im Gegenzug freistehend vor Buffon auch im siebten Spiel in Folge nicht traf. Magath sagt: „Wir brauchen mehr Konsequenz – vor dem gegnerischen und vor dem eigenen Tor.“

Wie gut ist der FC Bayern der Spielzeit 2004/2005? Die Formkurve schwankt: Fußballfesten wie gegen Ajax folgen Trauerspiele in der Bundesliga, Stimmungsaufheller wie der glatte Sieg gegen Tabellenführer Wolfsburg verlieren nach dem mutlosen 0:2 in Gladbach schnell ihre Wirkung. Uli Hoeneß sagte nach dem 0:1 gegen Juve: „Wir haben eine Stunde lang sehr gut gespielt. Mehr ist im Moment nicht drin.“ Und Michael Ballack meint: „Man sollte nicht nur das nackte Ergebnis sehen.“

Wohl wahr, aber auch, wenn man die Anzeigetafel ausblendet und nicht vergisst, dass der ungeschlagene Tabellenführer der Serie A zu Gast war, bleiben Fragen: Warum nimmt man den Führungsspieler Ballack erst wahr, als er nach dem Schlusspfiff dem gefrusteten Kollegen Makaay vom Boden aufhilft? Warum legt sich die Sommerdress-Fraktion Hargreaves, Lucio, Makaay, Schweinsteiger mehr ins Zeug als manch anderer Langärmelträger? Warum kann der Mannschaftskapitän Kahn (35) seinen durchaus verständlichen Ärger nicht runterschlucken und sein Team in die Fankurve führen anstatt wie ein schmollender Vierjähriger in die Kabine zu stürmen?

Der runderneuerte FC Bayern ist noch keine Einheit. Die Hackordnung fehlt, vor allem im Mittelfeld. Ballack ist nicht der Typ, dem es wichtig ist zu führen. Frings hat seinen Platz noch nicht gefunden, ein Fall von verschenktem Potenzial. Schweinsteiger und Hargreaves drängen mit viel Wille und Engagement nach vorn, haben aber bei Magath keine sonderlich gute Lobby. Ze Roberto, Scholl, Deisler – sensible Feinkostkicker, leider sehr verletzungsanfällig. Dass vorne Makaay mal nicht trifft und Pizarro noch nicht ganz da ist, dass hinten Kahn die Kugel mal wieder plumpsen lässt – geschenkt, im Vergleich zu den Problemen im Zentrum, die aufs ganze Team abstrahlen, das einen gemeinsamen „spirit“ vermissen lässt, die Fähigkeit zur kollektiven Begeisterung, die selbst von Verletzungssorgen geplagte Bremer auf Wolke 7 durch die Champions League rauschen lässt.

Wie geht’s weiter, FCB? Wie gehabt? Hoeneß sagt über das 0:1: „Das ist schade, aber keine Katastrophe.“ Magath sagt: „Wir müssen in das Spiel am Samstag die Wut und Enttäuschung von heute Abend reinlegen. Es geht gegen Hannover, eine Mannschaft, die vorn steht in der Bundesliga. Und da wollen wir nicht nur gut spielen, sondern auch Tore schießen.“ Schließlich ist der Torjubel immer noch der schönste von allen.